Samstag, 20. November 2021

Ganzheitlich prügeln

Nicht, dass der alte weiße Mann nicht all' die ethische Prügel verdiente, die er einstecken muss. Als kolonialistischer Unterdrücker, als kapitalistisch-imperialistischer Ausbeuter, als rücksichtslose globale Umweltsau, als Rassist und Sexist und, und, und.  

Aber.

Bei der sorgfältigen Lektüre des "Atlas der Versklavung", der aktuellen Beilage der "Monde diplomatique", befiel mich der Gedanke, das absolut berechtigte "White-man-bashing" verstellt auch den Blick auf die Verantwortlichkeiten nicht-weißer Täter und ihrer Hintermänner und Anstifter. Die Versklavung, das Einfangen und Weiterverkaufen von Menschen, haben die Europäer nicht erfunden. Sie fanden die Kulturtechnik allüberall in voller Blüte, betrieben das eigentliche Einfangen auch nicht selbst, sondern kauften immer nur von den jeweils einheimischen Sklavenhändlern. (Allerdings, und das ist ein berechtigter Vorwurf, gaben sie der Sache damit eine ganz grauenhafte neue Dimension.)

Ähnlich Umweltkatastrophen. Natürlich bin auch ich mitverantwortlich für die riesigen Plastik-Müllinseln im Pazifik. Aber ich schwöre heilige Eide, dass ich noch nie eine Plastiktüte in einen Fluss, in die Nordsee oder gar den Pazifik geschmissen habe. Klar, wir wissen: Irgendwelche Machthaber verdienen furchtbar viel Geld mit Müllimporten, jauchen den Mist schlicht ins Meer, pampern mit der Kohle sich und ihren Clan und lassen die sozialen Katastrophen in ihrem Land bestenfalls von  internationalen Hilfsorganisationen bearbeiten.

Versteht mich nicht falsch: Ich, alter weißer Mann, versuche, mir meiner Verantwortung immer bewusster zu werden und ich versuche dementsprechende Verhaltensänderungen. Da gibt's reichlich zu tun, und davon darf und kann man nicht ablenken. Aber ich fänd's herrlich, auch mal davon zu hören, dass die Pottsäue of any color and any kind, die sich immer noch vor Ort den Arsch vergolden, indem sie das eigentliche Verbrechen operativ umsetzen, geschasst werden.



(verändert via wiki commons)
Ich war's nicht! Ich schwör'!






Mittwoch, 17. November 2021

Der Kosmos hinter dem Display

Habe gerade meinen ersten eigenen Taschenrechner wiedergefunden, einen "Canon Palmtronic LD-8M 2", der  1975 marktreif wurde. 



Was für ein mystisches Erlebnis, eine komplizierte Berechnung einzugeben, die "="-Taste zu drücken, und dann - bammsdi - das Ergebnis ablesen zu können. Die Leuchtziffern schweben, recht klein, in einem Display, das schwach erahnen lässt, dass hinter diesen rasend schnell dahinprojizierten Zahlen ein unglaublich komplexer Kosmos, ein tiefes, dunkles, für uns unergründbares Universum von High-Tech-Elementen in einem göttlich-genialen System wirkt. Fast komme ich mir schäbig vor, dieses Gerät einzusetzen, nur, weil ich selbst zu blöd, zu faul und zu unkonzentriert zum Kopfrechnen bin.

Vergleichen wir mit aktuellen Designs:



Da ist nichts mehr von Tiefe. Da ist nur noch Oberflächlichkeit, nur noch Oberfläche, nur noch Flachheit. Es hat mal Zeiten gegeben, da benutzten wir das Wort "App" als Schimpfwort, um diese kleinen, dummen Billigheimer gegen die richtigen, die professionellen Programme für Ernstzunehmendes abzugrenzen.

Vorbei, unwiederbringlich vorbei, die Kultur der Schnellficker hat den Planeten erobert und gibt ihn nicht wieder her.



 


Sonntag, 14. November 2021

Geiles¹ Gefühl!

Stell' Dir vor, Du läufst tagelang mit einem furchtbar schlechten Gewissen rum, weil im smalltalk mit Kolleg*innen sich herausstellt, Du hast Deinen Deutsch-Leistungskurs den falschen, den nicht abiturrelevanten Text bearbeiten lassen. Stell' Dir weiterhin vor, dass Du, als Du den Sachverhalt später eingehend prüfst, feststellst, dass Du gar keinen Fehler gemacht hast, sondern dass im Gegenteil alles großartig, tippitoppi und in bester Ordnung ist. 

Ganz abgesehen von der ewig orgasmischen Befriedigung des "Ich-habe-Recht-und-Ihr-nicht!": Was für ein herrliches Gefühl der Erleichterung, welche Euphorie! Fast (!) möchte ich behaupten, die zwei Tage der Niedergedrücktheit seien ein fairer Preis für den Dopamin-Serotonin-Flash, den ich gerade erlebe ...




(Klimt: Wasserschlangen II; 1907; via wiki commons)







¹ "geil" vgl. ahd: "gei" (> goh) = "besonders dicht und grün bewachsenes Wiesenstück"; altnord.: "geilgr"="schön"; gotisch: "gailjan"="erfreulich". All die sexuellen Konnotierungen kommen erst später hinzu - und gehen seit Jahren durch die übermäßige Verwendung des Wortes auch stickum wieder unter. "Geil" bekommt seine ursprüngliche Bedeutung wieder zurück. Gut so!




Freitag, 5. November 2021

Wieso bei 60?

Zwar habe ich noch ein paar wenige Monate Zeit, aber die Zahl 60 kommt mit der gnadenlosen Brutalität eines Dampfhammers auf mich zu. Vor einem angriffslustigen Dampfhammer könnte man sich verstecken oder wegducken, vor der Mathematik leider nicht. Am meisten erstaunt mich meine eigene Reaktion, hatte ich doch in meinem gesamten bisherigen Leben niemals (!) ein Problem mit meinem Alter, auch nicht an "runden" Geburtstagen. 

Und es ist auch nicht, dass ich das Gefühl habe oder hatte, irgendwas verpasst zu haben¹. Würde ich itzt auf einer Bananenschale ausrutschen und mir glücklich (d.h. schnell und final) das Genick brechen, ich wär's zufrieden. Evolutionsbiologisch sind wir für 40 Jahre ausgelegt, d.h. ich bin schon 50 % drüber oder andersrum: Ein Drittel meines Lebens ist ohnehin schon Bonus-Material. Bereits zwei Mal (mindestens) hat nur die moderne Medizin dafür gesorgt, dass ich dieses Bonus' überhaupt teilhaftig werde.   

Wie ich neulich schon andeutete: Ich bin Lichtjahre davon entfernt, mich zu beklagen. 

Längeres Nachdenken führte zu folgender Erkenntnis: Die von mir so empfundene gnadenlose Brutalität des metaphorischen Dampfhammers erzeuge ich selbst. Ich bin einfach geistig zurückgeblieben. Irgendwann, Anfang, Mitte oder Ende 20, ging's im Kern meines Wesens nicht mehr weiter: Ein bisschen neugierig, ein bisschen unsicher, ein bisschen verpeilt, nicht un-fleißig, nicht un-nett, aber mit reichlich Sozialisationsmüll auf dem Buckel ... 

So habe ich sozial unauffällig vor mich hingelebt und natürlich viel gelernt, oh ja, aber im tiefsten Innern blieb immer so eine abgespeckte Spar-Version faust'schen Erkenntnisdranges richtungsweisend, so eine stets unsichere, besser: offene Neugier auf Menschen und Dinge. Genau das ist aber ein Attribut von Jugendlichkeit², und deshalb habe ich eigentlich nie das Gefühl entwickelt, ein "Erwachsener" zu sein oder jemals zu werden. 

Erstaunen und Verunsicherung verspüre ich jedes Mal, wenn mir im Rahmen menschlicher Begegnung eine durch und durch positiv gemeinte Seniorität zugewiesen wird. Kommt zum Glück nicht allzuoft vor. Im Job regel' ich das ziemlich flott mit dem Credo: "Ja, ich mach' das hier schon seit über 30 Jahren, und ich mache das gut, und es wäre erbärmlich, wenn ich in so langer Zeit keine überaus brauchbaren Erfahrungen gesammelt hätte. Aber Du kommst frisch aus der Ausbildung, bringst Engagement, aktuelles Wissen und Zugriff auf den dernier cri der Theoriebildung mit. Let's work together."

Andere Zuweisungen stoßen mir übler auf: Beispiel: Als die Nazis Ende 44 in größter Verzweiflung  den sogenannten "Volkssturm" gründeten, das allerletzte Häufchen militärischen Reserve-Elends, war die Altersgrenze: 16 bis 60. Ab 60, lerne ich, bist Du so ein Wrack, da nehmen Dich nicht mal mehr die Nazis zum Verheizen³. Alte Leute ab 60 sollen sich Corona-boosten lassen. Ab 60 dies, ab 60 das. Nur Arbeiten geht heutzutage offenbar bis 67, immerhin... 

Was wollte ich jetzt sagen? Ach ja: Der oben erwähnte metaphorische Dampfhammer, das ist meine selbstgemachte Befürchtung, dass die Differenz zwischen: "Man ist so alt wie man sich fühlt." einerseits und der gesellschaftlichen Rollenzuweisung an die Zahl 60 andererseits mir in Zukunft mehr Probleme bereiten könnte als bisher. Scheißdreck.

Hoffnungen und Ängste sind gefährliche Illusionen. 

Lao-Tse



(stark verändert via wiki commons)



¹ Nagut: Sex. Ich glaube, es hätte in meinem bisherigen Leben jede Menge mehr Sex geben können (und ich erwarte noch viel für die Zukunft). Allerdings glaube ich auch, dass das buchstäblich JEDE*r glaubt und hofft. Diese never-ending Sexsucht, so wird vermutet, ist sprichwörtlich Teil unserer DNA. Die Aussage "Ich hätte gerne mehr Sex, VIEL mehr Sex!" sollte deshalb in der (Zwischen-)Bilanz eines Lebens in einer anderen Kategorie behandelt werden, als z.B. die Aussage "Hach, da ich nun bald sterben muss, wünschte ich mir doch, ich hätte mich intensiver dem Klavierspiel gewidmet!" oder "Verdammt, ich war nie in Feuerland, immer war das Wetter zu schlecht!"

² Das ist natürlich eine idealisierte Zuschreibung, wie wir alle wissen. Es gibt 15-jährige, die sind so fertig, so un-neugierig und spießig, dass außer Stoffwechseln keine weiteren Lebensäußerungen mehr zu erwarten sind.  

³ Bitte nicht falsch verstehen! Ich will mich nicht beklagen. Es ist nur diese scharfe Trennung "alt" vs. "zu alt", die mich irritiert.



Mittwoch, 3. November 2021

Wahrer Konservativismus

Habe spontan einen - wie soll man das nennen? Heimatführer? Ein Heimatbuch? - von Ostfriesland gekauft, Helmke: Das östliche Friesenland, Wittmund, 2021. Dachte, nettes Geschenk für Leute, die zwar mich kennen, nicht jedoch die Gegend, in der ich lebe. Das Buch entspricht nicht den Hoffnungen, die ich in es setzte. Es tümelt zu viel, und die Tümelei ist mehr oder weniger austauschbar mit jeder ländlichen Region Mitteleuropas. Zwar differiert, was da im Einzelnen tümelt, nicht aber das Tümeln an sich.

Am meisten stört mich der nur schlecht kaschierte Stolz des Schreibers bei der sich ständig wiederholenden Aussage, der ostfriesische Bauer sei nun mal recht(s) konservativ. Erstens waren Landkreis Wittmund und der größere Teil Ostfrieslands bei der Bundestagswahl stramme Sozen-Hochburgen, zweitens bin ich selbst stock-konservativ und wünsche nicht, mit den dümmstmöglichen Spießern unter den Bauern dieser Region in einen Topf geworden zu werden. Zumal die absolute Mehrheit der mir bekannten ostfriesischen Bauern das völlige Gegenteil von dümmlichem Spießertum repräsentiert und ergo nicht konservativ im Sinne o.g. Lektüre ist.

Und da die künftige Ex-Regierungspartei Doitschlands aktuell und aus gutem Anlass darüber nachdenken muss, was "konservativ" eigentlich bedeutet, hier ein wenig Nachhilfe:

Lat. "conservare" heißt "bewahren". Diese Übersetzung erklärt alles, denn bewahren kann man alles, was es je gab, und folglich erklärt sie nichts, denn Syphilis, Hexenverbrennungen und ein Leben als Jäger und Sammlerinnen beispielsweise werden mehrheitlich nicht zurückgewünscht. Die Selbstaussage konservativ zu sein, also bewahren zu wollen, ergibt nur dann Sinn, wenn man spezifiziert, was man für bewahrenswert hält. In meinem Fall wären das die Gedanken 

"Die Starken müssen die Schwachen schützen, die Schwachen müssen sich bemühen, und gemeinsam müssen sie eine für Menschen auch in Zukunft lebenswerte Umwelt garantieren. Und die FDGO. Und: Worauf  Du ein Preisschild kleben kannst, ist nichts wert."

Diese Gedanken sind zwar nie konsequent umgesetzt worden, aber sie sind uralt und mein Konservatismus besteht darin, dass ich es für absolut nötig halte, sie zu bewahren. 

Dagegen steht das Gedankenmodell

"Scheiß auf das Althergebrachte! Du darfst und musst ALLES tun, was Dein krankhaft egomanisch-machtgeiles Hirn Dir eingibt, um mehr und immer mehr Macht über Menschen zu gewinnen. Skrupel zeigen nur Deine Schwäche. Der ausschließliche Erfolgsparameter ist Dein persönlicher finanzieller Profit. Worauf  Du KEIN Preisschild kleben kannst, ist nichts wert.Dieses Modell ist absolut fortschrittlich, denn es bewahrt gar nichts. Lustigerweise entspricht es in unserer politischen Gegenwart dem Axiom jener Parteien, die sich als konservativ verstanden wissen wollen. Was für eine Paradoxie! Es sei denn, man argumentiert: "Menschen waren immer schon  dumme, egoistische Arschlöcher, und daran wollen wir, die wir uns Konservative nennen, nichts ändern." 

Manche Definitionen sind gar nicht so einfach, wie es anfangs scheint. Und wo steht da nun der ostfriesische Bauer oder der bayrische oder hessische oder meck-pommige? Die meisten sind klug und stehen auf der richtigen Seite. Die anderen würde ich nach o.g. Definition gar nicht als konservativ bezeichnen. Die sind einfach nur so strunzendumm, dass sie ihre totale Unfähigkeit, einen neuen Gedanken zu denken, zum politischen Konservativismus hochpimpen. Es gibt einen bestimmten Grad von Strunzendummheit, da kippt die Selbstwahrnehmung, und die Betroffenen entwickeln großen Stolz ob ihrer intellektuellen Immobilität (Beispiele: "Mia san mia!" oder eben, wie bei Helmke, das Hohelied auf den konservativen ostfriesischen Bauern.)  

In diesem Stadium sielen sich die Strunzen in einem Sumpf satter Selbstzufriedenheit und sind für äußere Ansprache nicht mehr erreichbar.     




(verändert via wiki commons; Grace Slick, Woodstock 1969)

Merke: Coole Nicht-Spießer sehen und erleben schönere Dinge.







Samstag, 30. Oktober 2021

Mehr Kreativität gefordert!

BÄMM! Nehmt dies, ihr miesepetrigen, spießigen, fachidiotischen Langweiler-Lehrer*innen, die ihr eure Schüler*innen gerade in den Kernfächern zu "zweitklassigen Robotern" abrichtet! Jetzt hat Euch der OECD-Bildungsdirektor aber mal so richtig die Wahrheit um die Ohren gehauen, links und rechts und links und rechts und immer wieder! Kre-a-ti-ver sollt Ihr sein, ihr popligen PISA-Loser! Kreativer, bunter, interdisziplinärer, toleranter muss euer Unterricht werden, eine internationale Studie hat's bewiesen!

Nun denn!

Ich will hier nicht wiederholen, dass die OECD ein internationaler Zusammenschluss selbsternannter und andernfalls arbeitsloser Pseudo-Expert*innen ist, der keinen Auftrag hat, außer, im eigenen oder gutbezahlten Fremdinteresse Meinungen rauszuhauen.

Stattdessen möchte ich den Blick auf die zugrundeliegende Studie lenken, eine *.pdf-Datei, die man für 40,00 $, wahlweise aber auch gratis von der OECD-Seite herunterladen kann. Die darin geschilderte Forschungsmethode ist interessant: 3.000 Schüler*innen, Lehrer*innen, Eltern und Schulleiter*innen aus 10 Städten weltweit haben Fragebögen ausgefüllt. Zitat S. 41 ff: 

  • "For each sampled student, parents or legal guardians were asked to participate in the survey by filling out a contextual questionnaire and reporting on their children’s social and emotional skills." 

Ein Glück, dass Eltern bzw. und Betreuer*innen weltweit eine identische Definition von "children’s social and emotional skills" haben. Sonst wäre das ja gar nicht vergleichbar. 

  • "For each sampled student, the teacher that knows the student best or with whom the student has spent the most time was selected. These teachers were asked to fill out the teacher contextual questionnaire as well as to report on the social and emotional skills for each of the assigned students."

Auch hier bin ich heilfroh, dass diese Dinge weltweit absolut vergleichbar sind. Nicht auszudenken, welche Konsequenzen es hätte, wenn ein Lehrer in Istanbul, wo die Prügelstrafe noch angewendet wird, für social and emotional skills for each of the assigned students andere Maßstäbe anlegte, als ein*e deutsche*r Lehrer*in. Ach nee, deutsche Schulen sind ja gar nicht dabei.

  • "For each sampled school, school principals were asked to fill out the contextual questionnaire for school principals."

Finde ich wichtig. Ganz wichtig finde ich das. So ein Schulleiter redet immer gerne ganz offen über Drogenprobleme an seiner Schule, über Mobbing, Missbrauch, finanzielle und personelle Kürzungen usw. Gerade bei schriftlichen Interviews in internationalen Studien, PISA ist ja auch eine OECD-Erfindung, outen die Schulleiter*innen sich ganz als kritische, ehrliche Seelen.

"Participating cities

The following 10 cities from 9 countries participated in the first round of the survey:

• Bogotá, Colombia

• Daegu, South Korea

• Helsinki, Finland

• Houston, Texas, United States

• Istanbul, Turkey

• Manizales, Colombia

• Moscow, Russian Federation

• Ottawa, Ontario, Canada

• Sintra, Portugal

• Suzhou, People’s Republic of China"

Ende der Liste und des Zitats. Zehn Schulen, zwei davon in Kolumbien, dann Süd-Korea, Türkei, Texas, Moskau, Canada und die Volksrepublik China. Wenn überhaupt, dann wären die Schulsysteme von Finland und Portugal irgendwie (!!!) mit unserem vergleichbar. 

Dann: 3.000 Probant*innen, Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen, lassen wir die zehn Schulleiter*innen mal unberücksichtigt. Wenn ich pro Schüler*in jeweils auch die Eltern und Lehrer*innen befrage, spreche ich also insgesamt über 1.000 Fälle. An zehn Schulen. Also 100 Fälle pro Schule. An meiner Schule gibt es roundabout 1.300 Schüler*innen, in Niedersachsen 840.000, in Deutschland 8,4 Millionen. Eine "weltweite Studie" mit 1.000 Fällen, das ist ... eine absolute Frechheit, Scharlatanerie und nichts als bandenmäßiger Betrug.

Und was ich eigentlich wissen will: 

  1. Wie kann der "Bildungsdirektor der OECD" sich nicht entblöden, auf der Basis einer so idiotischen "Studie" presse-öffentlich Forderungen an das deutsche Schulsystem zu erheben? 
  2. Und warum haut der Deutschlandfunk so einen Schwachsinn ungefiltert in die Welt?




Gestern, Flugplatz Hatten:
Nach dem erfolgreichen Umbau auf den
von der Fa. Volksschrauber
getunten Briggs&Stratton
wird geprüft und gemessen ohne Ende. 


Freitag, 29. Oktober 2021

Highway-Meditation

Wissenschaft zu verstehen ist keineswegs Eliten vorbehalten, sondern zum Verrücktwerden einfach: Jede Aussage, die sich durch ein Experiment widerlegen lässt, gilt als wahr, bis sie durch ein Experiment widerlegt wird. 

Beispielsatz: "Der Luftwiderstand steigt im Quadrat zur Geschwindigkeit."

Erläuterung: Wenn ein Fahrzeug oder Flugzeug von 50 km/h auf 100 km/h beschleunigt wird, verzweifacht sich die Geschwindigkeit. Das Quadrat von 2 ist 4. Demnach muss permanent viermal soviel Energie aufgewendet werden, um bei dieser Geschwindigkeit den Luftwiderstand zu überwinden. 

Wenn ein Fahrzeug oder Flugzeug von 50 km/h auf 150 km/h beschleunigt wird, verdreifacht sich die Geschwindigkeit. Das Quadrat von 3 ist 9. Demnach muss permanent neunmal soviel Energie aufgewendet werden, um bei dieser Geschwindigkeit den Luftwiderstand zu überwinden. 

Herrlich, oder? Wollen wir die Geschwindigkeit noch vervierfachen? Ich frage mich, was, was dabei wohl rauskommt. Naaa, weiß das wer?

Und das Allerbeste: Die Aussage ist wissenschaftlich und sie ist wahr, denn es gibt tausende Experimente, die sie bestätigen, aber kein einziges, das sie widerlegt. (Wir erinnern uns: Es würde ein einziges Experiment ausreichen, um eine wissenschaftliche Aussage zu widerlegen.) 

Was Wissenschaft so richtig, richtig schwierig macht, sind nicht die Methoden, denn die sind ganz handwerklich. Es sind auch nicht die Ergebnisse, denn die sind eigentlich immer spannend. Das Schwierige an Wissenschaft ist, was die Leute draus machen. Wir bleiben beim obengenannten Beispielsatz.

  • "Jaa, wenn man von 50 auf 100 beschleunigt, mag das stimmen, aber ich fahre eh nie 50, auch nicht innerorts. Und ob ich 80 oder 100 fahre, ist ja wohl latte, oder?"
  • "Hömma, mein Bugatti chiron, dat is sonne platte Flunder, der hat praktisch überhaupt keinen Luftwiderstand, auch nicht bei dreihunnertfuffzich, klar?!"
  • "Die Rechnung kann nicht stimmen. Wenn ich Freitachna'mittach den Firmen-Sprinter mit 180 über die Bahn prügel', dann verbraucht der nix mehr, wie mit fuffzich auffer Landstrasse. Is' echt so."
  • "Sechzehnmal soviel!!!??? Ich brauche sechzehnmal soviel Sprit, wenn ich statt 50 200 fahre? Ihr habt doch 'ne Klatsche! Das stimmt never ever ..."
  • "... und außerdem läuft der Motor ja viermal so lange, wenn Du statt 200 nur 50 fährst, das muss man dann erstmal wieder davon abziehen. Da sieht die Rechnung gleich ganz anders aus."
  • "Jetzt wollen wir doch nicht so tun, als wäre das der Weisheit letzter Schluss. Die Wissenschaftler sagen ja selbst, dass das nur eine Hypothese ist, die nur gilt, bis einer das Gegenteil beweist. Die sind sich also gar nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Es wäre unverantwortlich, für diese links-grün-versiffte Meinungsmache Arbeitsplätze in Doitschlant zu opfern." 
  • "Daniel Bernoulli war schwul / Jude / Kommunist / Neger / Frau / Illuminat / Freimaurer / katholisch / Akademiker / evangelisch / Buddhist - zutreffendes unterstreichen und weitertwittern, Mehrfachnennungen sind möglich und erwünscht."
  • "Soooo, jetzt wollen die Grünen uns also zwingen, für den Rest unseres Lebens nur noch 50 zu fahren!  Das machen die nur, weil sie neidisch auf meinen 507-PS-Audi-SUV sind. Den wollen sie mir wegnehmen, um selber damit fahren zu können! Hängt sie auf!"
  • ... to be continued ...

Diese Ideen kamen mir heute auf der Autobahn. Ich frag' mich, wieso...


(Daniel Bernoulli - verändert via wiki commons)
"Guck ihn dir doch an, den langhaarigen Bombenleger!
Von sonner Schwuchtel lass' ich mir doch nicht vorschreiben,
wie schnell ich fahren darf. Soweit kommt dat noch!"






Mittwoch, 27. Oktober 2021

Heute im Supermarkt

Ich hocke, ein Billig-Produkt in den unteren Regalebenen suchend, vor einem Supermarkt-Regal. Ein Kind schiebt einen Einkaufswagen durch den Gang auf mich zu.

Die Mutter: "Pass auf, fahr den jungen Mann nicht um!"

Ich: "Boah, so hat mich lange niemand mehr genannt."

Die Mutter: "Naja, hätte ich sagen sollen 'Fahr den alten Mann nicht um.'?"

Mir ist noch nicht ganz klar, was ich aus dieser Geschichte lernen soll, aber ich find's großartig, wenn Menschen so spontan und klug und selbstreflektiert antworten können.





(stark verändert via wiki commons)
Lao-Tse sagt:
"Haarausfall und lange Haare gehen 
gut zusammen." Das merke ich mir.




Freitag, 22. Oktober 2021

Zweiter Versuch "Über mich"

Die Selbstkundgabe, möglichst nett zu sein (s. vorangegangener Post), ist von unüberbietbarer Banalität. Darth Vader, Voldemort, Saruman, Orban, Trump, Erdogan und dieser polnische Zeterzwerg würden das Gleiche von sich behaupten, und ihre Biographien bestätigen das: Da ist viel Nettes, das aber - im Laufe der Entwicklung ein wenig fehlgeleitet - in den Resultaten ins Gegenteil kippt. Durch und durch böse Figuren wie Sauron, Hitler und der alttestamentarische Satan wirken grundsätzlich blass, fremd und ein wenig unglaubwürdig. 

Kurz: Nett-Sein ist kein Alleinstellungsmerkmal ¹. Buchstäblich jede*r nimmt das für sich in Anspruch, und folglich wäre es nicht zielführend, dies in einem potentiellen Register "Über mich" in diesem Weblog zu erwähnen. "Nett-Sein" umfasst nahezu alles und ist als Begriff daher nahezu wertlos.

Stattdessen müsste ein eventuelles Register "Über mich" jene persönlichen Eigenschaften nennen, die herangezogen werden könnten, wenn jemand die Gründe sucht, aus denen dieser seltsame Weblog so aussieht, wie er aussieht.

Also, dann mache ich doch mal ein Brainstorming und sammel die Ergebnisse an der Tafel:

  • Neugier
  • unendliches Interesse an nachgehender Selbstbeobachtung
  • das Bewusstsein, dass ich kaum anders und nix schlechter und nix besser bin, als alle meine Mitmenschen und dass wir allesamt manchmal ziemliche Idioten sind
  • die Fähigkeit, mich herzhaft über meine eigenen Unzulänglichkeiten zu amüsieren und sie gleichzeitig ernst zu nehmen
  • die Fähigkeit, meine Unzulänglichkeiten zu analysieren
  • die leider nur begrenzte Fähigkeit, meine festgestellten Unzulänglichkeiten zu beseitigen
  • die Freude an der Anstrengung, das eigene Denken durch die Mühle sprachlicher Logik zu drehen, um zu prüfen, welcher Gedanke etwas taugt und welcher nicht
  • ach ja: Und nett!

Klar soweit? Ok. Und hilft diese Nabelschau jetzt irgendwie weiter? Nein, oder?

Fazit: Es wird kein Register "Über mich" für diesen Weblog geben.



(stark verändert via wiki commons)
Und ich sach noch, Darth, sach ich noch, tu' das nich' ...!




¹ "Alleinstellungsmerkmal" ist als Begriff ohnehin ziemlich großkotzig, angesichts demnächst 8 Milliarden Menschen.




Donnerstag, 21. Oktober 2021

Erster Versuch "Über mich"

"Der Name tut nichts zur Sache" lautet ein doitsches Sprichwort. "Nennt mich Ishmael", heißt es in Moby Dick, aber das wäre hier blöd, weil ich nicht so heiße. "SG800" als nom de guerre sollte hinreichen.

Was ich, wenn ich einen Menschen neu kennenlerne, als Erstes herauszufinden versuche, ist, ob sie*er nett ist. Und deshalb stelle ich die Frage, ob ich nett bin, an den Anfang des Weblog-Registers "Über mich". Leider ist das Attribut "nett" wegen seiner scheinbaren Naivität so lange durch den Kakao gezogen worden, dass es seine ernsthafte und wichtige und schöne Bedeutung, die es in Kindertagen hatte, nahezu komplett verloren hat. 

Die Antwort lautet also notgedrungen etwas komplex: "Ja, ich bin nett in dem Sinne, dass ich mich ganz miserabel fühle, wenn ich feststelle, dass ich andere Menschen verletzt habe und ich bin nett in dem Sinne, dass ich stets versuche, derlei Verletzungen wenn irgend möglich zu vermeiden oder zu minimieren." 

Wenn ich diese Definition so lese, dann frage ich mich, was es an dem Wort "nett" eigentlich auszusetzen gibt. Leben wir in einer so abgeranzten, miesen, fiesen, desillusionierten Gesellschaft, dass Nettsein Grund zu zynischem Spott ist? Immerhin haben die Faschos es mittlerweile auch geschafft, vernunftbasiertes Handeln, Solidarität bzw. Mitgefühl und aktives Eintreten für die FDGO als "Gutmenschentum" schlechtzureden. 

Was genau ist eigentlich schlecht daran, KEIN Arschloch sein zu wollen?

Und damit bin ich deduktiv bei der ersten Aussage in der Abteilung "Über mich" angekommen:

Ich bin ein netter Gutmensch!



(verändert via wiki commons)
Wenn man genau hinschaut, erkennt man den missglückten Versuch, 
den Joint wegzuretuschieren, den Jesus sich hier gerade reintut. 
Wie lächerlich: Ohne Joint ergibt das Bild überhaupt keinen Sinn.