Ich habe hier einige Male mehr oder weniger offen darüber räsonniert, dass im Kapitalismus das Individuum nur eine einzige wirksame Möglichkeit habe, politischen Unmut zu äußern, und das sei der möglichst weitgehende Konsumverzicht¹, vielleicht auch, nadelstichartiger, der Boykott eines Konzernes oder Produktes. Und diese Methode sei desto schlagkräftiger, je mehr Konsument*innen solidarisch mitmachten.
Dabei habe ich übersehen, dass der Konsum nicht mal mehr 60 % des deutschen BIP ausmacht, Tendenz: weiter fallend. Wenn der private Konsum in Doitschland um 1,2 bis 3,9 % p.a. (je nach dem, welche Zahlen man zugrundelegt) sinkt, die Umsätze der Konzerne aber schlimmstenfalls um 0,3 % abnehmen, dann bedeutet das, dass die Konzerne sich immer mehr vom privaten Konsum in Doitschland emanzipieren und ihre Umsätze anderswo generieren, entweder mit anderen Konsument*innen und / oder durch Geschäfte mit anderen Konzernen.
Wie auch immer: Die Rolle der doitschen Normalverbraucher schwindet dahin. Klar, es wird ein paar Verwerfungen im Einzelhandel geben, d.h. Firmen werden pleite gehen, die klassischen Verkaufsstellen werden aufgelöst, Millionen von Verkäufer*innen werden mittelfristig "freigesetzt", aber das ist Fußvolk, der Plebs, der allerunterste Teil der Nahrungskette. Den Profit der Konzerne tangiert das nicht, darf es auch nicht tangieren. ²
Laut unserer Verfassung (Art. 20 GG) geht alle Macht vom Volke aus. In der täglichen Praxis hingegen geht alle Macht von den verschiedenen Lobby-Verbänden der Wirtschaft, sprich: von den Super-Reichen, aus, vgl. Hildebrandt D.: "Politik ist der Freiraum, den die Wirtschaft ihr lässt." Und wenn nun auch noch Konsumverzicht bzw. Boykott als Mittel der Einflussnahme entfallen ³, haben wir, die Regierten, die wir eigentlich Souverän in diesem unserem Staate sein sollten, keinen Einfluss mehr auf die Lenkung dieses Staates. In Worten: "null", in Zahlen: "0,00".
Ich halte die Korrektur, dass auch Konsumstreiks keine wirkliche Macht hätten, für wichtig.
Jedenfalls dann, wenn wir davon ausgehen, dass gerade etwas ganz schrecklich falsch läuft und dass wir sehr pronto sehr grundsätzlich umsteuern müssen, wenn wir nicht in einer Umwelt enden wollen, in der menschliches Leben, das diesen Namen verdient, nicht mehr möglich ist. Und wenn die Lage mittlerweile so zugespitzt ist, wie sie ist, und wir uns folglich keine zeitraubenden Irrtümer und Illusionen in puncto Taktik⁴ mehr erlauben dürfen.
Die FDGO hilft nicht, der individuelle Konsumstreik, der Boykott, hilft auch nicht. Was bleibt denn noch, wenn man, wie ich, Gewalt als Mittel der Politik (und überhaupt) strikt ablehnt?
Ich weiß es nicht. Beängstigend, oder?
Bis auf ein paar Auserwählte ...
¹ Diese Protest-Methode könnte gleichzeitig Gutes gegen die Klima-Katastrophe tun, aber das ist ein anderes Thema.
² "Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere." Marx K.
⁴ Beispiele für taktische Irrtümer:
- Wir machen das mit demokratischen Mitteln.
- Wir boykottieren. Z.B. Nestlé.
- Wir sind technologieoffen, "die Wissenschaft" findet eine Lösung.
- Der Markt regelt das.
- Der Herrgott wird's scho' richten.
- Nach mir die Sintflut.
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