Dienstag, 30. August 2022

Unkontrolliert leben


Interessanter Aspekt im therapeutischen Gespräch: Ich stellte fest, es sei mir wichtig, die Dinge im Griff zu haben. Die Therapeutin paraphrasierte dies versuchsweise mit der Formulierung, ich wünschte Kontrolle über Dinge zu haben.

Dank dieser Nachfrage konnte ich ¹ herausfinden: Zumindest so viel haben meine jahrzehntelangen Übungen zur taoistischen Philosophie wenigstens bewirkt: Dass ich nicht mehr die Illusion hege, Dinge seien kontrollierbar. "Dinge im Griff haben" bedeutet für mich, fähig zu sein, tätig einzugreifen, durch eigenes Tun mehr oder weniger bescheidenen Einfluss auf den Lauf der Dinge ausüben zu können.

Ich erlaube mir die Metapher vom trägen Floß in reißendem Fluss voller Stromschnellen und Hindernisse. Idiotisch das Ansinnen, die Fahrt vorab en detail zu kalkulieren und zu planen. Idiotisch auch der Traum, ein Floß so hochenergetisch zu motorisieren, dass es in so einer Situation nach Belieben zu manövrieren wäre. Diese Arten von Kontrolle stehen nicht zur Verfügung und werden von mir auch nicht angestrebt. 

Was ich aber wünschte, wäre irgendein Ruder ², irgendein Paddel oder Stab, mit dem ich wenigstens ein bisschen in meinem Sinne tätig sein könnte. Müsste ich in dieser Floß-und-Fluss-Situation passiv bleiben, fänd' ich's richtig scheiße.  

Das ist der Unterschied zwischen "Kontrolle haben" und "Dinge im Griff haben".


(stark verändert via wiki commons)




¹ zunächst spontan, im Nachgang dann viel bewusster und präziser 

² Ja, es müsste in diesem Zusammenhang "Riemen" heißen. Ich weiß. 




Samstag, 27. August 2022

Was, zum Geier, wählen?


Die Plakate zu den niedersächsischen Landtagswahlen sind mal wieder ausnahmslos von maximalem Verblödungsgrad und die schlimmst-denkbare Beleidigung des Intellekts der Wähler*innen, die in einer Demokratie ja immerhin höchster staatlicher Souverän sind.

Und nachdem die Linke sich so erfolgreich und restlos selbst zerfleischt hat, dass nicht einmal erahnbar ist, was (und ob überhaupt) da dereinst noch auferstanden aus Ruinen auf uns zu kommen wird und nachdem die Grünen mir nichts, dir nichts restlos und mit atemberaubender Leichtigkeit alle (!) ihre Grundsatz-Themen verraten und verleugnet haben, stehe ich, ehrlich gesagt, ganz schön doof da. Die SPD und CDU sind inhaltlich molluskenhaft und praktisch ununterscheidbar, die FDP so speichelleckerisch konzern-devot, dass es uns wirklich unangenehm berührt. Und alle Anderen ... gute Güte, was für ein sinnbefreiter und teilweise gemeingefährlicher Schwachsinn.

Was, zum Geier, soll ich denn jetzt wählen? In den letzten 30, 40 Jahren habe ich nie eine Partei wählen können, die ich gut fand, denn die gab's nicht. Also habe ich immer die am wenigsten brechreizerregende Partei gewählt. Diesmal sollte ich unbedingt die Kotztüte mit in die Wahlkabine nehmen, denn wasimmer ich ankreuze, es wird mir grottenübel werden. 

Könnt Ihr Mädels und Jungs und Diverse aller Parteien bitte nochmal ganz zügig nacharbeiten? Ich suche eine Partei, die

  • glaubhaft, schnell und nachhaltig gegen alle Widerstände dafür eintritt, dass die Reichen nicht immer reicher werden, während die Armen immer ärmer werden,
  • glaubhaft, schnell und nachhaltig gegen alle Widerstände unser Wirtschaftssystem dahingehend umbaut, dass nicht weiter Profite privatisiert und Kosten sozialisiert werden,
  • innen- und außenpolitisch unsere Verfassung bzw. die FDGO zur absoluten, diktatorischen, unhintergehbaren Handlungsgrundlage macht, insbesondere bei den Themen Menschenrechte, Frieden und Schutz einer für Menschen lebenswerten Umwelt.

Das kann doch nicht so schwierig sein, oder? Und sagt nicht, das seien aber ziemlich allgemeine Forderungen! Dann schaut Euch doch bitte mal den hanebüchenen Unsinn auf Euren Plakaten an!

 


(stark verändert via wiki commons)






Donnerstag, 25. August 2022

Fliegen lassen

 

Was ich rechts der Weser so ulkig finde, ist, wie aufgeräumt die Landschaft dort ist: Links die Weser, dann kommen Felder (hier noch ein Zippel von Harriersand), dann kommt immer mehr Wald (mit der "Auffanglinie" A27). Und so geht das von Bremen bis Bremerhaven.


Navigatorisch kanntze hier komplett abschalten ...


... und die Landschaft genießen.


Jaaa, ich geb's zu, manchmal denke ich bei solchen Bildern "Ah, so sähe das aus der Perspektive eines angreifenden Tieffliegers aus ..." Nein, ich habe keine Ahnung, wie derartige Phantasien in meinen Kopf kommen.



Und eigentlich fliege ich nicht gerne über Wasser. Gerade eben habe ich den Spruch gehört "Water takes no prisoners!" Das bedeutet: Bei einem technischen Ausfall über Land kann der versierte Low&slow-Flieger sich auf irgendeiner Wiese runterwurschteln, oft sogar wiederstartfähig. Eine Landung auf Wasser - puuh, da haste erstmal ganz andere Probleme. 



Ulkig: Gestern hatte mein Flugzeug Lust, etwas höher zu fliegen, eher 300 m statt der üblichen 200. Mir war's wurscht, drum habe ich mich da nicht eingemischt. Es gilt als Anfängerfehler und unfein, sein Flugzeug allzusehr beim Fliegen zu stören.  







Reminiscentia senilis


Lese gerade mit enormem Gewinn Neitzels "Deutsche Krieger". Ich verkneife mir das in derlei Zusammenhängen gern gewählte dümmlich-apodiktische Schlagwort von der "Pflichtlektüre", aber Neitzels Text ist Pflichtlektüre.

Völlig perplex bin ich von den Analysen zur Lage der Bundeswehr Anfang der 80er bis zum Ende des Ersten Kalten Krieges. Das war die Zeit, in der ich als Wehrpflichtiger Teil der Maschine war, und mich beschäftigen besonders folgende Aspekte:

1.) Es ist ein völlig doofes Gefühl, wenn Sachen, die Du selbst mitgemacht hast, plötzlich mit dem textuellen Habitus einer historischen Untersuchung aufgearbeitet werden. Ich fühle mich so ... alt.

2.) Neitzel erfasst die Widersprüchlichkeiten der Bundeswehr jener Zeit ganz vortrefflich. Ist die Bundeswehr für den Frieden oder für den Krieg da? Sind Soldaten also Killer oder Beamte? Kann die BRD gegen die "russische Walze" verteidigt werden, so dass hinterher etwas übrig bleibt, was den Aufwand gelohnt hat? Falls ja: Dann kann "der Russe" als Gegner aber nicht so stark sein, wie immer gesagt wurde. Falls nein: Was ist dann mit meinem Soldateneid? Darf ich dann überhaupt noch kämpfen, da ich doch schwor, mein Vaterland zu schützen? Angeblich wollen unsere Verbündeten uns helfen, uns gegen die Russen zu verteidigen, aber der Krieg bliebe niemals konventionell, und die französischen Atomwaffen reichten sowieso nur auf das Gebiet der BRD. Nennt mir plausible Gründe dafür, dass wir mehr sind, als das Bauernopfer für unsere "Alliierten"!

Als 18-/19-jähriger konnte ich diese Vorbehalte nur teilweise konkret ausformulieren, aber da war immer das Gefühl, irgendwas stimme nicht mit dem, was man uns erzählte. Allerdings war ich damals auch noch so naiv anzunehmen, man könne uns ja wohl nicht so grundsätzlich belügen und betrügen. Ich habe, ernsthaft, nach MEINEM Denkfehler gesucht, da ich ganz bescheiden davon ausging, Leute, die tausendmal mehr Ahnung von der Sache hätten als ich, würden so einen Schwachsinn nicht zulassen oder sie würden von anderen Leuten, die auch Ahnung hätten, diskursiv richtig was auf's Maul kriegen.

Heute bin ich weniger naiv, dafür ist mein Entsetzen, wie viel Lug & Betrug unsere Machthaber sich leisten können, um so größer.

3.) Sehr deutlich und interessant beschreibt Neitzel, welche Konsequenzen dieser völlig widersprüchliche, verquarste, kontra-logische Auftrag, besser: diese Gemengelage aus ganz vielen, einander widersprechenden Aufträgen und Erwartungshaltungen auf die Führungsebene der Bundeswehr hatte. Vom Unteroffizier aufwärts war klar: Wenn Du sowieso die ganzen Widersprüchlichkeiten in Deiner Auftragslage nicht auffangen und in eine sinnbringende Struktur überführen kannst, dann musst Du eben selbst entscheiden, welche Punkte Du wichtig findest, und an denen arbeitest Du. Den Rest ignorierst Du und versuchst irgendwie durchzukommen. Neitzel prägt dafür den Begriff "selektiver Gehorsam".

Dafür könnte ich ihn knudeln und liebkosen, denn was die Bundeswehr in den 1980ern durchmachen musste, ist in der staatlichen Schule heute immer noch Alltag: Von der Feigheit oder Unfähigkeit der demokratischen Gesellschaft, einen widerspruchsfreien Auftrag an Schule zu formulieren bis hin zur Resignation der Lehrer*innen, die, wenn sie zu den Guten gehören, auch nur noch mittels selektivem Un-/Gehorsam reagieren können. Wir nannten das dann bisher allerdings "Guerilla-Pädagogik", doch der Stolz und das Ansinnen, in einem als durch & durch schwachsinnig strukturierten und organisierten erkannten System seine Pflicht darin zu entdecken, im verdeckten Einzelkampf als Partisan gegen die Obrigkeit das Bestmögliche für die anvertrauten Menschen (hier: Schüler*innen) herauszuholen, ist absolut vergleichbar.

Der gute Sun-tzi hat in der "Kunst des Krieges" vor 2.500 Jahren gesagt, man dürfe von einer Armee alles fordern, Anstrengung, Gefahr, auch die bewusste Aufopferung zum Wohle des Vaterlandes usw., was man aber auf keinen Fall tun dürfe, sei, eine Armee vor eine unlösbare Aufgabe zu stellen. 

Wollen wir diese Textstelle nochmal gemeinsam lesen? Schlagt mal das Buch auf, Seite ...



(verändert via wiki commons)








Dienstag, 23. August 2022

Wer braucht "Gen Z"?


Eine Zeit lang habe ich, der Boomer, mich ernsthaft bemüht, die kulturellen Unterschiede zu verstehen, die es zwischen den sogenannten Millenials (Jahrgang 1981 - 1995) und der Gen Z (1996 - 2012) gibt bzw. geben soll. Dann war ich sicher, dass diese Klassifikation reine Konstruktion ist und im Ansatz etwa so klug wie die Frage, wann Blau nicht mehr Blau, sondern Türkis ist und wie grün Türkis sein darf, um noch Türkis und noch nicht Grün zu sein. 

Wir reden also (nur) über ontologische Setzungen, und mich interessiert, wem es etwas nützt, wenn derartige Klassifizierungen eingeführt werden. ¹

Bei der Frage nach Nutzen müssen wir, da wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, nach dem Geld fragen. Wer erwirtschaftet noch höhere Profite, wenn wir uns einreden lassen, es gäbe die Unterteilung in Boomer, Gen X, Millenials, Gen Z etc. tatsächlich? 

Antwort: Marketing-Konzerne. 

Seit den späten 1960ern klagen die Marketing-Fuzzies darüber, dass ihnen die Zielgruppen auseinanderbröseln. Davor war es einfach: Wenn man "den Bürger", vielleicht noch differenziert nach Klein, Mittelschicht und Groß, einmal identifiziert hatte, konnte man sämtliche (!)  Konsumgewohnheiten mit großer Erfolgschance prognostizieren. Der Konformitätszwang war wirksam genug. Ende der 60er änderte sich das: Der Spießer wurde keck, trug vielleicht tagsüber weiterhin ihre/seine Spießerklamotten, wurde, zunächst in seiner Freizeit und dann überhaupt, flexibler. Ein klitzebisschen "Anything goes" schwappte ins Gelsenkirchener Barock. ³ Komplexere Herausforderungen und also höherer Aufwand für die Verkaufsförderung. 

Merke: Das Konsum-Verhalten möglichst großer Gruppen deskriptiv und gerne auch normativ zu bestimmen, erhöht den Profit, (selbst-)bewusste, rationale, individuelle Kundenentscheidungen schmälern ihn.  


 

(verändert via wiki commons)




¹ Darf ich mir und uns, bitte, die Diskussion um die inhaltliche Logik derartiger Klassifikationen ersparen? Nein? Ok, dann erklärt mir eben, ob die Einteilung auch in Eritrea, Somalia, im Yemen und in Aserbaidschan zutreffen? Falls nicht: Wo sind die Grenzen? Und wer legt das fest? ²

² Das ist übrigens auch eine spannende Frage bei der Blau-Türkis-Grün-Frage: Wer ist eigentlich so kacken-dummdreist, in dieser Frage zu glauben, entscheiden zu dürfen und zu müssen? Was stimmt mit diesen Menschen nicht? 

³ Die Veränderung, der Übergang wurde hübsch deutlich z.B. in der genialen Fernseh-Serie "Ein Herz und eine Seele" (s. Abb.) dargestellt.






Sonntag, 21. August 2022

Plausibilitätsprüfung

 

Wenn ich einen Text auch nach sorgfältiger Lektüre nicht verstehe, formuliere ich auf's Geratewohl  Interpretationen und prüfe sie auf Plausibilität. Was unplausibel ist, fliegt raus, und was übrig bleibt, muss folglich der wahre, klare, logische Kern der Sache sein. Ich erlaube mir dies am Beispiel "Warum Deutschland im Indopazifik Flagge zeigt" zu demonstrieren.

These 1: Unsere Demokratie wird auch im Indopazifik verteidigt. 
Klar, wenn unsere Demokratie schon am Hindukush verteidigt wurde und das bekanntermaßen so großartig geklappt hat, dann sollten wir uns dringend weitere militärische Feinde irgendwo auf der Welt suchen. Der Indopazifik ist geographisch maximal von uns entfernt. Nächstlogischer Schritt wäre, Schulen und Brunnen auf dem Mars zu bauen. Nein, diese Interpretationshypothese ist Quatsch.

These 2: Der Schulterschluss, das Schutz- und Trutzbündnis mit Australien und Japan verpflichten uns.
Ja, äh, nein, Australien und Japan sind sogenannte "Major non-NATO-allies", d.h. sie sind wichtig, aber nicht in der NATO oder sonstwie mit uns verbandelt. Das "NA" in "NATO" steht ja auch für "Nord-Atlantik". Wir haben nichts mit denen, außer, dass wir alle gemeinsam auf Gedeih und Verderb von den U.S. of A. abhängig sind. Aber das ist in diesem Artikel nicht gemeint, glaube ich. 

These 3: Australien und Japan sind technologisch auf doitsche Ingenieurskunst, auf unsere Eurofighter angewiesen.
Erstens: Können wir bitte endlich mal eingestehen, dass der Eurofighter genau so eine doitsche Erfindung ist, wie Crêpes, Crème Brûlée, Camembert, Ratatouille, Bordeaux-Wein, Croissants und Baguettes? Um doitsche (und britische) Eitelkeiten zu befriedigen, haben die Franzosen darauf verzichtet, es weiterhin Dassault Rafale zu nennen.  
Zweitens: Wenn der "doitsche" Eurofighter so ein toller Klopper ist, warum müssen wir dann eigentlich die alten amerikanischen F-35 kaufen? Das ist alles nicht schlüssig.

These 4: Die Chinesen erzittern vor der Bedrohung, in einen militärischen Konflikt mit der hochgerüsteten BRD einzutreten. Sie werden es sich zweimal überlegen, sich mit uns anzulegen.
Ja, nee, is' klar. Wenn die Chinesen nicht mehr unsere Autos (und anderes Geraffel) kauften, wären wir am Ende. Aber schlagartig und sowas von! 

These 5: Die Bundeswehr ist nichts weiter als das Schaufenster doitscher und europäischer Rüstungskonzerne. Und da demnächst ein paar umfängliche und einträgliche militärische Konflikte in der Region zu erwarten sind, kann man ja schon mal mit dem Schaulaufen beginnen. Die richtig reichen Tiger-Staaten versprechen höchste Profite.
Ja, das ist eine, die einzige plausible Erklärung, warum die Bundeswehr sich plötzlich auf der anderen Seite des Globus' engagieren muss. JETZT habe ich verstanden, worum es geht.

Gehe ich recht in der Annahme, dass die Kosten wieder mal von der Gemeinschaft getragen, die Profite aber von den Konzernen eingestrichen werden? Ja, klar, was für 'ne blöde Frage. Entschuldigung.




(via wiki commons)
Also nochmal: Das ist NICHT der Eurofighter.
Das ist die Dassault Rafale.
Der Unterschied ist, dass sie etwas eleganter aussieht.


(via wiki commons)
Klar soweit?








Samstag, 20. August 2022

Opa erzählt: Fliege-Abenteuer

Ich kürze die Geschichte ab: Neulich beim Start hörte ich einen anderen Flieger einen Waldbrand in der Nähe unseres Platzes melden. Auf Nachfrage der Flugleitung waren die Mitteilungen aber nicht ganz klar, und so erbot ich mich, hinzufliegen und nachzuschauen. 

Ich fand:

(Abb. 1)

Das nächste Problem war, der Feuerwehr den Ort zu melden. Die Angabe "Feuer in einem Wald knapp zwei Meilen nördlich des Platzes" war für die Lebensretter verständlicherweise nicht gut genug, die wollten gerne genau wissen, welcher Wald an welcher Straße u.v.a.m. Und wir konnten diese Informationen beim besten Willen nicht liefern. 

Leider spielt sowas in der Fliegerei absolut keine Rolle, wie auch mir schmerzlich bewusst wurde: Wir fliegen nach Karten im Maßstab 1:500.000, d.h. 1 cm repräsentiert 5 km, und wir finden das völlig hinreichend präzise. Wenn wir über Funk unsere Position durchgeben, dann oft im Schema "D-MSGO, fünf Minuten östlich des Platzes..." und wir pfeifen darauf, dass es einen Unterschied macht, ob man mit 70 oder mit 370 km/h unterwegs ist. Wir sagen NICHT "D-MSGO, ich bin jetzt genau über IKEA." oder so. Wenn ich von Oldenburg nach Norden fliege, dann habe ich die Lagertürme von Brake und Oldenburg im Blick, alsbald die Weser und den Jadebusen. Wie das Dorf unter mir heißt, weiß ich in vier von fünf Fällen nicht, und, ehrlich, es interessiert mich auch nicht.

Diese außerordentlich spannende komplette Inkompatibilität bei der Konstruktion von Wirklichkeit habe ich schon in dem Beitrag vor drei Tagen angetickt, Stichwort Autobahnkreuz.

Wenn es um einen entstehenden Waldbrand geht, muss die Sprachphilosophie aber einfach mal zurückstehen, wir hatten ein echtes Problem, und zwar ein sich schnell vergrößerndes (s. Abb. 2).


(Abb. 2)
(Spoiler: In der Bildmitte auf dem Weg die Fahrzeuge von Feuerwehr und Polizei, das Abenteuer ging [natürlich] gut aus.)

Naheliegende Idee: Der Flugleiter in Hatten teilte den Einsatzkräften der Feuerwehr mit, ich würde über der Brandstelle kreisen, um ihnen so die Lokalisierung zu erleichtern bzw. zu ermöglichen. Und was ist besser geeignet, tief und langsam mit minimalem Radius und maximaler Ausdauer in 150 bis 200 m Höhe um einen Punkt am Boden zu kreisen, als mein 120-kg-Trike?(Abb. 3)¹


(Abb. 3)
... sogar die Farbe ist feuerwehr-mäßig.
Ernsthaft: Es fühlt sich gut an, wenn man mit seinem Hobby
was gesellschaftlich Sinnvolles beitragen kann. 


Ich bin dann weitergeflogen. Die entspannte Handhaltung mit elegant abgespreiztem kleinen Finger verweist darauf, wie ruhig die Luft war.






¹ ... insbesondere, wenn direkt nach dem Start der Sprittank ganz voll und die Pilotenblase ganz leer ist.


  





Donnerstag, 18. August 2022

Über Wu wei und die Rettung des Paradieses


Vorgestern Mittag in der hochsommerlichen Fußgängerzone. Leichtbekleidete Menschen of any colour and any kind geben Anlass und Gelegenheit, menschliche Schönheit zu bilanzieren. Ich abstrahiere, rede also nicht über meine persönlichen Einstellungen und Orientierungen.

Ich stelle fest:

  1. Es gibt Menschen, die sehen natürlicherweise einfach umwerfend gut aus, ohne irgendwas dafür zu tun oder dies besonders zu betonen und ohne es selbst zu bemerken. Das sind die Schönsten.
  2. Dann gibt es Menschen, die sehen liebenswert normal aus, ohne irgendwas dafür zu tun oder dies besonders zu betonen und ohne es selbst zu bemerken. Das sind die meisten.
  3. Weiterhin gibt es Menschen, die sehen vernachlässigt und unangenehm unhygienisch aus. Das sind die Bedauernswertesten.
  4. Schließlich gibt es Menschen, die offensichtlich jede Menge Mühe und Ressourcen dareinstecken, schön auszusehen, wobei "schön" in diesem Fall durch die jeweils aktuell von der Werbe-Industrie oder sonstwo von außen oktroyierten Normen definiert ist. Das sind die Häßlichsten.


Mit diesem Ergebnis kann man sehr anschaulich belegen, was im Taoismus mit dem Konzept des Nichthandelns (Wu wei) gemeint ist. 

Das krampfhafte - naja, sagen wir: das höchst energieaufwändige - Bemühen, schön auszusehen (siehe Pkt. 4) führt nicht nur nicht zum gewünschten Ergebnis, sondern ist sogar kontraproduktiv und verbraucht dabei enorm viel Kraft und Geld. Konkret: Menschen, die an einem heißen Sommertag aufwändig geschminkt, gestylt und in mörderteuren Schickimicki-Klamotten durch die Innenstadt laufen, wollen zwar als schön gelten, aber gerade wegen ihres Bemüht-Seins erkennen wir sie nicht als schön, sondern als verunsichert, unreflektiert, prätentiös, neureich, überangepasst etc. etc. 

Punkt 3, betr. die Verwahrlosten, verweist darauf, dass das Konzept des Nichthandelns nicht gleichbedeutend mit der Forderung nach totaler Passivität ist. Wenn es natur-gemäß angezeigt ist, dann handelst Du. Wer müffelt, ist nicht nur nicht schön, sondern richtig abtörnend.

Den anstrengungslosen Ideal-Zustand im Sinne des Taoismus' erkennen wir in Punkt 2. Und das ist das ganz und gar banale Ergebnis dieser Untersuchung: Anstrengungslose Normalität ist das geistige Ideal des Taoismus. Lao-Tse sagt: "Die höchste Erkenntnis ist nicht strahlend und glitzernd wie ein Brilliant, sondern derb und einfach wie ein Stein."

Achso, es fehlt noch Punkt 1 ... Ja, was soll ich sagen? Einige, wenige Menschen haben einfach das unverschämte Glück, ohne weiteres Zutun umwerfend gut auszusehen. Diesen Menschen wünsche ich, dass ihnen nie bewusst werde, dass das so ist. Denn ich habe auch schon natürlich-schöne Menschen gekannt, denen im Laufe der Jahre ihre besondere Schönheit so gut gefiel, dass sie sie um jeden Preis erhalten und vielleicht sogar noch steigern wollten. Die Folge war ausnahmslos immer (!) ein rasanter Absturz in Kategorie 4. Schade drum.

Ich glaube übrigens, das ist auch die einzig mögliche Interpretation, mit der wir dieser bescheuerten Adam-und-Eva-Geschichte aus der christlichen Bibel noch Sinn verleihen können. Adam und Eva erkannten nicht, dass sie nackt waren, sondern sie machten sich bewusst, dass sie verdammt gut aussahen, dass sie in ihrer Eigenschaft als erste Menschen ziemliche A-Promis waren und überhaupt mal dringend an ihrem Selbstmarketing feilen müssten. Kurz: Sie fingen an, das, was ihnen sowieso zu eigen war, noch künstlich zu pushen. Anstelle des naturgemäßen, anstrengungslosen Seins begannen sie energie-intensiven Aufwand zu betreiben, um irgendwelche fragwürdigen, übersteigerten Ziele zu erreichen. 

Poff! Ende des Paradieses.


(via wiki commons)
Vertongen, um 1650. 
Der Titel ist mir gerade entfallen ...
Vielleicht "Zwei Leute kriegen Kloppe"?
Oder "Spanking für Anfänger und Fortgeschrittene"?
Oder "God-Games unlimited"?







Mittwoch, 17. August 2022

Vermischte low-'n-slow-Raisonnements

 




I'm going back, back again
Flying solo, only myself to blame
Taking my chances time and time again
Goodbye to you my old friend

'Cause I'm ready to go, this feeling won't stop
Hitting the road, it's all that I've got
It's automatic

Foot to the floor, I can't take anymore
Running from the life I tried to ignore
It's automatic, automatic

(...)
Amy Macdonald: Automatic









Es gibt sie noch: Die Stadtgrenze!






Die Kleeblätter der Autobahnkreuze verdeutlichen so schön,
wie sehr unsere Wahrnehmung einer Sache von Distanz und Sichtwinkel abhängt.
Als Autofahrer stellt sich das AB-Kreuz für mich völlig anders dar,
als als Low&slow-Pilot. 






Sonntag, 14. August 2022

Definiere: Zuhause

Weil's Umstände, die ich nicht steuern konnte und kann, so ergaben, haben ich einen sehr fließenden Umzug von meinem bisherigen Domizil ins fürdere. Derzeit ist die Lage so, dass ich in dem alten noch ganz gut und in dem neuen schon leidlich wohnen kann. Das klingt vermutlich sehr stressfrei und entspannt, und ich will auch nicht mäkeln.

Aber ohne es zu wollen, dekonstruiere ich damit das, was "Zuhause" für mich ausmacht. Lassen wir Selbstverständlichkeiten beiseite, wie z.B. saubere, funktionable Sanitäranlagen, ein rattenschnelles Internet und einen vernünftigen Kühlschrank. Ich erwische mich derzeit bei Banalitäten: Wo steht die elegantere Kaffeemaschine? Wo liegt der neuere Elektrorasierer? Die RICHTIG gute Matratze? Die elektrische Zahnbürste? Hier und da und dort, natürlich. Aber: Ist es bereits an der Zeit, die präferierten Alltagsgegenstände konsequent ins neue Haus zu verbringen? Dann wäre ja mein bisheriges Zuhause nicht mehr mein Zuhause, sondern höchstens mein ehemaliges Zuhause, in dem ich nur noch mit fast-schon-ausrangierten Tand rummache...

Das wäre ok, ich scheue mich nicht vor diesem Schritt ins neue Zuhause, aber ich kann mich köstlich über mich selbst beömmeln, anhand welcher völlig banalen Kriterien ich "Zuhause" definiere. "Home is, where my electric toothbrush is!" - Ist das wirklich so einfach?


(verändert via wiki commons)
CANTRIE ROOOOOODS, TEEEEHK MI HOOOOHM ....