Der Anchorman eines inzwischen furz-konservativ verkrusteten Religionsanbieters soll vor etwa 2.000 Jahren gesagt haben: "Was Ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt Ihr mir getan." Chapeau, so ein Spruch könnte damals im begrenzten ethisch-kulturellen Kontext nahöstlicher Wüstennomaden ein echter Knaller gewesen sein.
Ulkigerweise bekommt er durch SARS-CoV-2 eine ganz neue Aktualität. Genauer gesagt: Der Spruch könnte direkt vom Virus selbst stammen, wenn dieser denn mehr wäre als wildgewordene Nukleinsäure.
Der Reihe nach:
Natürlich habe ich gestern, wie überhaupt seit Wochen und Monaten, die öffentlichen Diskussionen um Anti-Corona-Maßnahmen verfolgt, den Streit, das egoistische Gezerre, die dümmlichen Rechthabereien und dreckigen Lobby- und Konzern-Machtspiele um die Frage, wer wann wo wieviel Impfstoff und Test-Sets beauftragt, beschafft und bereitgestellt und wer wann welchen Anspruch auf diese Segnungen von Kapital, Politik und Medizin hat.
Ulkig daran ist: Die Viren kümmern sich einen Dreck um diese Diskussionen. Viren sind gar nicht fähig, darauf zu reagieren. Sie können nur eins: Wirtszellen veranlassen, sie, die Viren, zu vervielfältigen. Dabei entstehen Billiarden neuer Viren, aber auch Milliarden Kopierfehler, "Mutationen" genannt. Die meisten Kopierfehler führen dazu, dass die resultierenden Viren-Exemplare nicht funktionieren ¹, sie werden folglich nicht weiter vervielfältigt. Einige wenige Kopierfehler führen aber auch dazu, dass das Virus Eigenschaften entwickelt, die es vielleicht noch ansteckender und in der Wirkung noch gefährlicher für uns Menschen und gegen die menschliche Immunabwehr noch resistenter machen. Dieser Prozess setzt sich fort, solange das Virus irgendwo auf dem Planeten aktiv ist.
Warum liste ich diese allseits bekannten Banalitäten hier nochmal auf? Weil ich zunehmend verzweifelt darum kämpfe, zu verstehen, wo genau in dieser banalen Faktensammlung die Begriffe auftauchen, die gerade unsere öffentliche Diskussion dominieren: "Föderalismus", "Bildung", "Frisöre eine Frage der Menschenwürde", "Lobbyverbände fordern...", "Hätte Doitschland einen national-egoistischen Alleingang bei der Beschaffung machen müssen, so wie England, Israel, Ungarn?", "Darf man russischen Impfstoff kaufen, wo die doch den Nawalny...?", "Warum lautiert Frau Karliczek öffentlich?"
Wenn ich mir den letzten Absatz anschaue und ihn inhaltlich mit dem vorletzten Absatz vergleiche, dann ist da ... so gar nichts. Keine Schnittmenge.
Daher bitte ich nun unsere Macht-Haber*innen, sich gütigst erinnern zu wollen: Wir haben eine Pandemie, also per definitionem ein weltweites Problem. Dieses Problem mit all seinen Mutationen wird erst dann erledigt sein, wenn der letzte Brasilianer, der letzte Aborigine, der letzte Mohikaner und der letzte sachsen-anhaltinische Corona-Leugner immunisiert sind. Bis dahin wird uns diese natürlich entstandene Bio-Waffe immer wieder um die Ohren fliegen.
Andersrum: Die Diskussion, wer zuerst geimpft wird, ist völlig bescheuert! Wir müssen fragen, wer auf dieser Welt zuletzt geimpft wird. Und die Logik des Virus macht es aus menschlicher Sicht sinnvoll, den Zeitpunkt der letzten notwendigen Impfung in eine möglichst nahe Zukunft zu verlegen.
Noch andersrummer: Jede Lösung, die das Problem nicht als global begreift, ist keine Lösung, sondern völlig bescheuert!
Und schließlich: Jaaa, Jesus hatte in diesem Punkt vollkommen recht. Ich habe auch nichts gegen Jesus, der hat einige gute Sachen gesagt. Ich frage mich nur, warum das aktuelle Management des Christus-Konzerns hier jetzt nicht mit voller Marketing-Macht reingeht und die Message pusht, bissa Arzt kommt.
(via wiki commons)
Ein Problem beim abrahamitischen Fundamentalismus ist die Kritikunfähigkeit.
Warum hat niemand dem Maler gesagt, dass der einzig denkbare Titel des Bildes lautet:
"Jesus pupst und seine Jünger fragen ihn, was, zum Teufel, er da wieder gegessen hat".
¹ Es ist zu bezweifeln, dass Viren überhaupt Lebewesen sind. Daher vermeide ich hier Begrifflichkeiten aus dem Bereich "Leben, Sterben, Tod etc."