Dienstag, 12. Januar 2021

Stichworte zum Distanzlernen


Gestern erster Schultag nach Ferienende, die meisten Kolleg*innen haben mühevoll Unterricht auf der Basis von Videokonferenzen vorbereitet. IServ, unsere dienstliche Groupware-Anwendung, machte die Grätsche, und nichts lief. Sehr ärgerlich für alle Beteiligten.* 

Die anhängige Problematik ist dreifach:

  1. Die Schüler*innen sind genervt und haben nicht viel gelernt, außer vielleicht, dass Schule es einfach nicht drauf hat. Jeder dödelige Plittikörr weltweit kann Videokonferenz, aber Schule natürlich nicht.
  2. Die Lehrer*innen sind genervt, denn sie können ihre mittelfristige Unterrichtsvorbereitung in den Senf drücken.
  3. Lehrer*innen, die ein reguläres Referendariat abgeschlossen haben, sind darauf gedrillt, die Wahl ihrer Methoden und technischen Mittel permanent kritisch zu befragen. Wenn bei einem Unterrichtsbesuch durch Ausbilder bzw. Vorgesetzte so ein Problem künftig erneut auftritt, müssen wir uns fragen lassen, ob wir das denn nicht hätten voraussehen können. Und kleinlaut müssten wir im De-briefing dann zugeben, unsere Wahl digitaler Unterrichtsmittel sei nicht hinreichend durchdacht gewesen. Wenn wir künftig technisch anspruchsvollen Digitalunterricht vorbereiten, müssen wir also immer eine analoge Alternative dazuentwickeln. Das ist doppelte Arbeit, das hält im normalen Alltag niemand lange durch.  

(stark verändert via wiki commons)



Kurz: Die Sache gestern war echt blöd. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass Videokonferenzen noch nicht zu den Kulturtechniken gehören, die in Schulen funktionieren. Schönen Gruß an die Welt: Wir Lehrer*innen sind - entgegen aller Unkenrufe - definitiv so weit, damit zu arbeiten. Wir warten nur darauf, ein hinreichend zuverlässiges Werkzeug zu erhalten.

Erfreut waren übrigens die vielen Schüler*innen, die im Vorfeld Befürchtungen geäußert hatten, sie könnten an den Videokonferenzen nicht teilnehmen, weil sie zu Hause weder über die Hardware noch über die Leitungskapazitäten verfügten. Da machen wir Lehrer*innen häufig Denkfehler: Wir können uns rattenschneller Rechner und Leitungen leisten. Es gibt Leute, bei denen das - aus was für Gründen auch immer - nicht so ist. Und wenn Du dann siehst, wie Schüler*innen versuchen, die geforderte Langtext-Hausaufgabe mit ihrem Handy zu erstellen, dann kommen Dir die Tränen und Du überlegst Dir, was für ein rücksichtsloses, arrogantes Digital-Arschloch Du bist.

Vorschlag: Lasst uns Distanzunterricht mit den Mitteln der späten 1990er abwickeln, e-mail, nicht-US-messenger, Foren etc. Das können wir - realistisch betrachtet - mit dem derzeitigen Stand der Technik in Schulen wuppen. Alles andere ist einfach nicht einsetzbar. 

Die entsprechenden Konzerne hypen Videokonferenzen und anderen Digital-Schnickschnack, weil die sich mit der notwendigen Aufrüstung eine goldene Nase verdienen, aber die Schulträger vor Ort sind nicht bereit, da im entsprechend erforderlichen Maße zu investieren.

Ich habe es ziemlich satt, dass sowohl die Konzerne als auch die Schulträger, statt den Konflikt miteinander auszutragen, ihn auf den Rücken der Lehrkräfte verlagern. 

Ach, und noch was: Ich finde es ganz reizend, dass die öffentlich-rechtlichen Sender in ihren Mediatheken jetzt sowas wie Schulfernsehen improvisieren. Ganz tolle Idee, wirklich. Für Corona-Zeiten super. Aber bitte, bitte, bitte, lasst uns nicht vergessen, dass Unterricht nicht bedeutet, ein Fass zu füllen, sondern eine Flamme zu entzünden**. Wenn Corona irgendwann mal vorbei ist, möchte ich gerne wieder Lehrer sein, nicht Stoff-Portionierer.




(stark verändert via wiki commons)






*(Da es presseöffentlich wurde, bin ich nicht unloyal, wenn ich das hier erwähne.)

** Heraklit





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