Früher einmal war die Selbstaussage, für die Sozis oder für die Grünen zu sein, ein recht klares und umfassendes Bekenntnis zu einer bestimmten Weltanschauung ¹. Diese bequeme Eindeutigkeit haben SPD und Grüne allerdings versaubeutelt, als sie, von Machtgeilheit korrumpiert, ihre Positionen bis zur Unkenntlichkeit verschwurbelten.
Wenn ich heute schnell und deutlich meinen Standpunkt darlegen will, muss ich mich beim Slang der Hirntoten bedienen und konstruiere das Bekenntnis "Ich bin das, was die Braunbratzen der AfD als 'links-grün-versifft' bezeichnen. Das bedeutet, ich trete aktiv für unsere Verfassung und den Erhalt einer menschenwürdigen Umwelt ein." Das ist viel zu kompliziert, außerdem habe ich keine Lust, mich beim Arschloch-Framing der Neonazis bedienen zu müssen. Was wir dringend brauchen, ist eine aktuelle, kurze und klare Definition dessen, wofür wir stehen.
Trotz jahrelanger Meditation zum Thema ist es mir bisher nur gelungen, das Ganze auf einen Dreisatz einzudampfen. Und der geht so:
Erstens: Unser derzeitges Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell basiert auf der hemmungslosen, ungebremsten Gier nach Macht bzw. Geld. Dabei sind Macht und Geld austauschbar, denn wer über ein lebensnotwendiges Limit hinaus immer mehr Geld akkumuliert, tut dies, um immer mehr gesellschaftliche Macht zu erwerben, und umgekehrt hat bislang noch jeder Macht-Haber seine Position dazu missbraucht, sich persönlich finanziell zu bereichern. Die erfolgreiche Jagd nach Macht/Geld wird gesellschaftlich positiv sanktioniert, mögen die Mittel ethisch auch noch so verwerflich sein. ("Ein gerissener Hund!"; "Kompromissloser Dealer, der weiß, was er will!") Vernichtung unserer Umwelt, Kriege, Hunger, Unfreiheit, Rüstungswettläufe, Leid, Sklaverei etc. sind die unausweichlichen Folgen.
Zweitens: Dem Kapitalismus entgegen stehen sozialistische bzw. kommunistische Entwürfe und die Religionen, die uns ursprünglich lehren wollten, den Mammon zu verachten und stattdessen ein paar andere Sachen wichtig zu nehmen. Aber dabei ist ausnahmslos auch nur Moppelkotze rausgekommen, es endet immer in Fundamentalismus, Mord, Diktatur, Kriegen, Unterdrückung, Hunger, Leid etc. Das ist erstaunlich, denn einige der Utopien sind ganz schlüssige Entwürfe, die eigentlich funktionieren müssten, wenn da nicht immer wieder das schwächste Glied, das menschliche Individuum ...
Ah?
Zwischenbilanz: Der Kapitalismus bringt uns um und die Alternativen, die großen gesellschaftlichen Utopien haben wir bislang allesamt verkackt.
Drittens: Könnte es sein, dass wir, wenn wir das selbstmörderische Profitstreben überwinden wollen, nicht weiter versuchen sollten, einen anderen großkotzigen Gesellschaftsentwurf dagegenzustellen? Wie wär's denn, wenn wir stattdessen ganz klein und unten anfingen: Bei uns selbst und bei den Menschen in unserer Umgebung? Wenn wir ohne viel Aufhebens unseren persönlichen Materialismus auf ein Minimum herunterführen? Wenn wir begönnen, Leute toll zu finden, die sich für andere Menschen einsetzen, statt nur für ihren eigenen kurzfristigen und fragwürdigen Vorteil? Wenn wir auch Kindern und Jugendlichen beibrächten, Profitgier zu verachten und dass es großartig und lohnend ist, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Und dass Respekt, Toleranz und Solidarität unhinterfragbare Werte sind. Und ... so.
Ganz ehrlich: Um heute ein anständiger, d.h. links-grün-versiffter Bürger zu sein, brauchst Du keine große, linke Utopie mehr. Du weißt, worum es geht. Also fang endlich an!
¹ Die Aussage, politisch links zu stehen oder konservativ zu sein, war zu meinen Lebzeiten allerdings noch nie hinreichend präzise. Wie links? Ein bisschen links der SPD? Oder eher so DDR-links? Stalinistisch etwa? Oder eher so Fidel-Castro-flippig links? Und wie konservativ? Bürgerlich? National-konservativ? Revisionistisch?