Montag, 5. November 2018

"Anstand ist anstrengend für Viele." (H. Rether)


Im aktuellen Programm "liebe 2018" überrascht Hagen Rether mit der Aussage, Fremdenfeindlichkeit sei etwas ganz Natürliches, um anschließend zu erläutern, bei Menschen müsse allerdings nach der spontanen, reptilienhirn-gesteuerten Reaktion doch, bitteschön, der Neokortex die Kontrolle übernehmen und eine kulturgesteuerte, zivilisierte, der Menschen würdige Reaktion liefern.

Rethers Klugheit, Leichtigkeit und Eloquenz lassen mich immer wieder verzagen, eigene Gedanken zu verschriftlichen, aber dieser lässt mich nicht los.


(verändert via wiki commons)

Entwicklungsgeschichtlich ist der Neokortex unser jüngstes, modernstes Hirnareal, vereinfacht gesagt: der Ort der Kognition, wogegen der Hirnstamm viel urtümlichere Bereiche enthält und  anstrengungslos und weitgehend unbemerkt Atmung, Verdauung usw. steuert. Reptilien, wie das von Rether erwähnte Krokodil, kommen prima mit einem Gehirn zurecht, dass lediglich unserem Hirnstamm funktionsmorphologisch ähnelt. Des Homo sapiens' überdimensionierter Neokortex ist kein Grund zur Arroganz, sondern einfach eine Angepasstheit an eine bestimmte ökologische Nische, genauso wie des Krokodils Gebiss und Muskulatur.

Allerdings spricht viel für Rethers These, dass neokortikale Aktivität für viele Menschen anstrengend und daher unangenehm ist, während wir die Aktivität des Hirnstamms gar nicht oder nur neutral oder sogar positiv wahrnehmen. Beweis: Über den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik oder die "Verantwortung und Schuld der Deutschen im Jahr 2018" nachzudenken, erfordert Muße und Konzentration. Rülpsen und Pupsen können wir jederzeit, mitunter gar parallel. *

Rassismus, Fundamentalismus, Populismus funktionieren deshalb so gut, weil sie den RezipientInnen das Angebot machen, auf neokortikale Aktivität zu verzichten und sich nur des Reptilienhirns zu bedienen. Inhaltliche Analogien zu früheren Entwicklungsstadien unserer Art stützen diese Hypothese:

1. Der Hirnstamm steuert qua Reflex und Instinkt. Im Gegensatz zur Kognition sind Reflex und Instinkt aber "hard-coded", wie Programmierer sagen würden. Der Kniesehnenreflex ist eine reine Nervenverschaltung, die unser Hirn nicht mal peripher berührt. Ist mein Weltbild aber "hard-coded", dann bedeutet jede Veränderung Gefahr, da eine Neuanpassung ausschließlich biologisch erfolgen kann: Das Alte muss und wird untergehen. Erst durch zufällige Mutationen entstehen vielleicht Angepasstheiten einzelner Individuen künftiger Generationen, die positiv selegiert werden, und so kann eventuell eine neue Verschaltung entstehen und sich durchsetzen (es sei denn, die ganze Sache dauert zu lange und die Art stirbt vorher aus).

Daher ist doch klar, dass Populisten immer religiös fundamentalistisch, rassistisch, xenophob und homophob sind, tradierte Gewissheiten, festgestampfte Rituale und Dogmen lieben und soziale Strukturen durch ein faschistoides Führerprinzip betoniert sehen wollen - und zwar immer in exakt diesem Gesamtpaket!** Jeder Ansatz von Veränderung, von Flexibilität, jeder Hauch eines Zweifels am Bestehenden ist reale, nicht nur eingebildete Bedrohung. Und je tiefer man in diese Pampe hineinrutscht, desto dramatischer wirkt die allerkleinste Abweichung. Ein sich-selbst-verstärkender Prozess.

2. Der Hirnstamm entstand in einer Phase der Entwicklungsgeschichte, in der jedes Individuum permanent selbst verzweifelt nach der nächsten Mahlzeit suchte und gleichzeitig - ebenso verzweifelt - vermeiden musste, selbst eine Mahlzeit zu werden. Die Begriffe "Gewaltaffinität", "Gier", "Opportunismus" und "extremer Egozentrismus" beschreiben folglich nur ansatzweise die psychische und ethische Disposition dieser Kreaturen, und diese Disposition war evolutionstheoretisch betrachtet ebenfalls selbst-stabilisierend.

Manche EvolutionsforscherInnen denken, dass die entgegengesetzte Fähigkeit, nämlich solidarisch,  sozial und mitfühlend zu agieren, die Säugetiere im Allgemeinen und die Menschen im Besonderen dahin katapultiert haben, wo sie jetzt stehen. Diese Fähigkeit ist aber brandneu und bedarf eines Neokortex', der die Komplexitätsexplosion bei der Kosten-Nutzen-Rechnung für soziale Bindungen in Großgruppen überhaupt berechnen kann.

Aber Evolution kann eben nicht alte, unaktuell gewordene Teile, schwupps, gegen neue austauschen. Und so geistert unser völlig veralteter, aber in Teilen immer noch notwendiger und, ach, so bequemer Hirnstamm mit seinem begrenzten Satz antiquierter Algorithmen durch unsere Kultur.

Und in scheinbar archaischen Situationen, nämlich wenn wir uns bedroht fühlen und in Situationen, in denen wir einfach zu faul und zu bierärschig und zu bequem zum richtigen Denken sind, da feiert der Hirnstamm fröhliche Urständ. Und die Riesen-Arschlöcher der Weltgeschichte verstehen es und haben es immer wieder verstanden, dieses leichte, anstrengungslose Nicht-Denken unseres Reptiliengehirns dominieren zu lassen, indem sie uns mit wahnsinnig überzogen dargestellten  Bedrohungen durch fiktive Feinde in Angst versetzen wollen und uns zu suggerieren, das Reptiliendenken sei das Wahre, das Gegebene, das einzig richtige Denken, und sie ermutigen uns immer wieder, den Einflüsterungen der Kreidezeit nachzugeben. Antike Tyrannen, Kaiser, Könige Gröfaze, Kanzler, Präsidenten, Konzernbosse haben es stets so getrieben und treiben es immer noch so.

Und die Errungenschaften, die den Menschen von den Tieren unterscheiden, die Vernunft, die Diskursaffinität, Solidarität, das Mitgefühl, die Neugier, die bewusste Toleranz, der Zweifel und die Erkenntnis, Ethik, Offenheit, Ästhetik, Freiheit, Individualität etc. etc., die sollen keinen Platz mehr haben ...
 
Wow, das ist jetzt viel zu lang und zu pathetisch geworden. Aber die täglich, stündlich von uns zu beantwortende Frage ist dadurch klarer geworden:

Willst Du lieber ein Reptil sein oder ein Mensch?




(verändert via wiki commons)









* Ich kann mir vorstellen, dass ein Reptilienleben, das ausschließlich aus einer Aneinanderreihung so antrengungsloser, befriedigender, vollautomatisierter, hirnstammgesteuerter Operationen wie beispielsweise dem Rülpsen besteht, glücklicher ist, als das eines, sagen wir, normal-nachdenkenden, normal-zweifelnden, hobby-bloggenden, hobby-fliegenden Provinz-Paukers.

**Es gibt keine Diktatur, die rassistisch ist, aber z.B. mit LGBTQ gut leben kann. Und Homophobie geht immer einher mit politischem und / oder religiösen Fundamentalismus.









Samstag, 3. November 2018

Wahrscheinlich letztgültige Antwort auf die jahrtausendealte Frage nach der Schönheit


Was mich allgemein im Bereich der Technik und ganz extrem in der Fliegerei fasziniert, ist, dass es praktisch keine ästhetische Diskussion gibt und dass die Produkte dennoch oder gerade drum immer eine schlichte, zuweilen raue, zuweilen romantische Schönheit ausstrahlen.




Form follows function und Vollkommenheit entsteht, wenn man nichts mehr weglassen kann, und Funktion und Reduktion sind nun mal die grundlegenden Prinzipien im Flugzeugbau.




Ein wirklich gutes Flugzeug ist immer auch schön, siehe oben, 
und ein kackenhäßliches Flugzeug ist nie wirklich gut.


Und wenn Du Dich mit so einem Brummer knappe drei Stunden lang durch argkalte Herbstluft geschlagen hast, und ihr beide durchgehalten habt, dann bist Du anschließend so verknallt in das Teil, dass Dir niemand mehr einreden kann, es handele sich dabei nur um seelenloses Material.










Donnerstag, 1. November 2018

Grau & gefährlich


Mal ganz ehrlich, Leute, ganz ehrlich: Herbst ist doch kacke!


 Hunte-Mündung von Südwesten, 270 m, heute

Was für eine beschränkte, abgedeckelte, graue Welt. Als wenn man von unten an eine Betondecke starrt ....



Und nun zu etwas völlig Anderem: Weil tödliche Unfälle beim Selfie-Machen statistisch durch die Decke schießen, mach ich's nur noch mit Helm und angeschnallt. Der Erfolg gibt mir recht: Keine Hai-Attacken, keine Grizzlies, keine unvorhergesehenen Schnellzüge, kein Ertrinken bisher.



Eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich endlich den neuen Helm 
ausprobieren konnte und dass er zwar total bescheuert aussieht, 
dafür aber ganz hervorragend fünktioniert!







Samstag, 27. Oktober 2018

Dreisatz der Sehnsucht


Wenn Leute das Gefühl, mehr noch: die Gewissheit haben, in einem falschen Körper geboren zu sein, zahlt die Solidargemeinschaft eine Geschlechtsumwandlung, und soweit ich das beurteilen kann, ist das auch gut so.

Ich habe das Gefühl, mehr noch: die Gewissheit, in der falschen Klimazone geboren zu sein, jedenfalls von Oktober bis April ...

Aufgabe: Führen Sie diesen Dreisatz gedanklich zu Ende und notieren Sie das Ergebnis.





 Südsee, Acryl






Freitag, 26. Oktober 2018

Zuviel der Wahrheit


Habe gerade eine Hose gebügelt. Bemerkte erstmals im Hosenbund innen einen Aufnäher:



Na toll! Vielen Dank auch, J&J! Allerdings war mir auch ohne diesen idiotischen Hinweis klar, dass auch in diesem Jahr ich es nicht ganz geschafft habe, meinen ideal-fitten "Beach-body" herzustellen. Und dass meine Kondition schon mal besser war. Seit ich fliege, habe ich einfach nicht mehr so viel Zeit zum Laufen, eigentlich gar keine. Und meine Falten, das sind alles Lachfalten. Bin eben ein fröhlicher Mensch. Gut, der leichte Bauchansatz ... der ... äh ... ist da.

Aber was, zum Geier, geht das Euch an? Und wie kommt Ihr überhaupt dazu, so eine Frechheit in meine Hose einzunähen? Ich trage Jeansgröße 33-34/34, das ist ja nicht gerade die Abteilung "Elefanten-Zelt", oder? Was macht Ihr denn bei 40/32? Näht Ihr dann den Schriftzug "Fette Sau" ein? Und wieso sind meine Hemden "Slim Fit", während Ihr Blödmänner meinen Hosen "Anti Fit" attestiert? Habe ich nur dicke Beine, oder was?

Was sagen eigentlich Eure Marketing-Fuzzies zu dieser kundenfeindlichen, beleidigenden Aussage? Mal googeln ...
...
Aha ...
...
Ahso!
...
Hm.

Okay, also "Anti Fit" bedeutet gar nicht, dass Leute, die solche Hosen tragen wie ich, allesamt Fettmopse und das Gegenteil von "fit" sind. "Anti Fit" bedeutet alles mögliche ungereimte Spezial-Blabla im Hinblick auf den Schnitt der Hose.

Sollte ich ein kleines klitze-bisschen überempfindlich reagiert haben?

Nein, die Frage muss lauten: Ist es wohl ein Zeichen echten Alt-werdens, wenn man anfängt, jedes scheinbare Indiz dafür so wichtig zu nehmen?

 

(verändert via wiki commons)















Donnerstag, 25. Oktober 2018

Juhuuu! Die Einschläge kommen näher!


Irgendein Stimmchen inneren Wahnsinns jubiliert gerade in mir: Unser Auswärtiges Amt verschärft die Reisewarnungen für die Türkei, in der aktuellen Fassung besonders für Leute, die den Ziegenpeter vom Bosporus in sozialen Medien kritisch angegangen sind. Yippie-Ya-Yeah, Schweinebacke, jetzt geht's mir an den Kragen!

Warum mich das freut? Weil ganz deutlich die Autokraten * und Möchtegern-Autokraten den Diskurs so weit zuspitzen, dass nun jede/r Einzelne von uns gezwungen wird, eine Ja-/Nein-Position zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu beziehen.

Immerhin kann ich jetzt mit märtyrermäßig-stolzem, theatralisch-vorwurfsvollem Ausdruck schwersten inneren Leids Jedem und Jeder, der / die jetzt noch Urlaub in der Türkei macht, erholsame Tage wünschen, in dem Land, das zu betreten mir nun durch die staatliche Drohung mit Verfolgung und Knast verwehrt ist. Ironie beiseite: Ich habe schon seit dem Putsch nicht mehr verstanden, wie man da noch hinfahren, urlauben oder Geschäfte, Waffengeschäfte gar, machen kann. Und ganz ernsthaft: Ich hätte Schiss, da jetzt hinzufahren.

Und kommt mir nicht, wie neulich jemand, mit dem Argument, das sei ja nur die bescheuerte türkische Regierung, die Menschen seien ja ganz anders. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich glaube vielmehr, dass Erdogans Dicke-Hose-Politik beim Großteil der Bevölkerung gut ankommt, und dass die Wahlen, die ihn immer wieder bestätigen, frei und geheim und gleich sind.

Wir müssen endlich mit der Bequemlichkeit aufhören! Ein Türkei-Urlaub ist für freiheitliche DemokratInnen ethisch derzeit nicht darstellbar. Und wir müssen die kranke Profitgeilheit unserer Konzerne einfangen: Geschäfte mit der Türkei sind nicht möglich. Punkt. Und wenn Altmaier sagt, man müsse da eine europäische Lösung finden, dann ist das doch nur wieder altbekannte, wirtschaftsfreundliche Verzögerungstaktik. Wo eine Wille wäre, wäre auch ein Weg. Wo kein Wille ist, gibt es Ausreden.





(verändert via wiki commons)
" ... letztes Jahr waren wir ja auch schon in Mordor, ganz reizend! ... Landschaften, sag' ich Dir, sowas sieht man hier gaaaar nicht, und Essen und Unterkunft waaahnsinnig preiswert ... guuut, man muss etwas aufpassen, was man sagt, aber im Urlaub will man ja sowieso nicht an Politik denken und diese ganzen häßlichen Geschichten. Und mein Mann sagt, man kann tadellose Geschäfte machen, hier unten, die kaufen richtig anständige Mengen und erwarten schon hohe Qualität und sind auch bereit, gut dafür zu zahlen. Klar, da hängt ja auch einiges von ab: Die setzen die Waffen ja auch ein, teilweise sogar gegen uns oder unsere Freunde, aber trotzdem ... (lacht) ... wenn wir denen keine Waffen verkaufen, macht's ein Anderer, nicht wahr, und dann können wir das Geschäft wenigstens noch mitnehmen ..."






* Habe neulich irgendwo gelesen, Erdogan sei ein "Soft-Autokrat". Was für ein Schwachsinn! Man kann autokratisch sein oder nicht. Es käme doch auch niemand auf die Idee, eine Frau als "hard-schwanger" oder "soft-schwanger" zu bezeichnen. Dass Erdogan vorläufig aus taktischem Kalkül seinen Faschismus erstmal noch im Rahmen des jeweils herrschenden Rechts durchprügelt, ändert doch nichts. Das hat Hitler haargenau so gemacht.

Samstag, 20. Oktober 2018

Peinlicher Wettkampf


War gerade dienstlich fünf Tage lang "aus der Welt", überblättere die Nachrichten-Portale.

Stelle fest: Wir sollten uns mit dem populistischen Schwachsinn der Trumps, Erdogans, Salmans, Söders, Orbans und dergl. nicht länger im Einzelfall beschäftigen. Das kostet unnötig viel Zeit und Kraft und führt zu nichts Gutem.

Stattdessen müssen wir die gezielten Verstöße gegen die einfachsten zivilisatorischen Normen (Menschrechte, Pressefreiheit, Toleranz, Vernunft, Mitgefühl) insgesamt wie einen Penisvergleich* dümmstmöglicher Spätpubertierender werten. Der Wettstreit der Autokraten besteht darin, sich gegenseitig zu zeigen, was man sich trauen darf, welche sprachliche und sonstige Perversion man sich noch schadfrei leisten kann, wie sehr man ungestraft bestehendes Recht und die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen treten kann, welchen Journalistenmord** die Leute einem noch durchgehen lassen usw. Und da will natürlich einer den anderen übertrumpen.

Und solange keiner von diesen Leuten ernsthaft was auf die Fresse kriegt, aber so, dass es richtig wehtut***, solange - im Gegenteil - dieser pubertäre Dicke-Hose-Gestus öffentlich beklatscht wird, wird der Wahnsinn immer weiter eskalieren. 






(verändert via wiki commons)
Diktatoren-Pimmel als Ausmalbild







* Die polnische Ministerpräsidentin Szydlo muss dabei natürlich den Penis von Jaroslaw Kaczynski hochhalten.

** verbal oder real

*** Sicherheitshalber ergänze ich: Dies ist eine Metapher!






Samstag, 13. Oktober 2018

Weisheit ist: Viele Fehler gemacht zu haben.


Ich missbrauche diesen Blog ausnahmsweise für eine persönliche Entschuldigung: Ich habe gestern probehalber mit "MeWe" hantiert, einer Plattform, die den Anspruch hat, die Facebook-Funktionalität darzustellen, ohne dessen allseits bekannte Brutalität im Sammeln und Verscherbeln unserer Daten an den Tag zu legen.  

Im Zuge dieses Herumexperimentierens sind automatisch und ohne mein Wollen und Wissen dümmliche SPAM-Nachrichten an acht bis zehn Whats-app-accounts verschickt worden.


Ich bitte, wie gesagt, diese unbeabsichtigte Belästigung zu entschuldigen und habe meinen Mewe-account zwischenzeitlich schon wieder gelöscht, das Problem sollte damit erledigt sein.

Das Ganze entstand sowieso nur aus dem flächendeckend diskutierten Gedanken, alle Welt wisse zwar, dass Facebook ein rechtlich und ethisch untragbares Produkt sei, aber niemand wechsle zu den durchaus vorhandenen technisch gleichwertigen und ethisch erträglicheren Alternativen, weil ALLE bei Facebook seien und NIEMAND bei den anderen. Man müsse, so die mir einleuchtende Logik, einfach nur der Vernunft folgen und wechseln, dann wäre der Schweine-Laden Facebook erledigt.

Nun war ich nie Facebook-Nutzer, dachte aber, wenn ich mich einfach als statistisch erfassbarer Mewe-Nutzer registrierte, trüge ich ein Winzigstel zur guten Sache bei ... naja, und da ich schon mal so einen account hatte, wollte ich gestern einfach mal Grenzen und Möglichkeiten testen, und dann ... siehe oben.

Der gestrige Ausflug in diesen Bereich der social media hat zwei interessante Erkenntnisse gebracht:

  1. Ich habe nach wie vor keinen Kommunikationsbedarf, den ich nicht im persönlichen Miteinander, per Telefonat, e-mailing, instant-messaging und blogging befriedigen kann.
  2. Facebooks Macht, insbesondere die Macht zum ungestraften, skrupellosen, opportunistischen Missbrauch dieser Macht, liegt nicht in einer ungeahnten, unerreichbaren, besonders ausgebufften Technik begründet, sondern im dumpfen, logik-resistenten Herdentrieb seiner NutzerInnen. Dieser Herdentrieb ist insofern dumpf - und nicht etwa mit Schwarm-Intelligenz zu verwechseln - als er ausschließlich konservativ und zur kollektiven Problemerkennung und -lösung völlig außerstande ist.




(Vinci, Entwurf Drehbrücke, verändert via wiki commons)





Donnerstag, 11. Oktober 2018

Whatever you want


Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich wieder diese doofen Spielverderber-Fragen stellen muss, wirklich!

Also: Die Bundes-Bildungsministerin, die es eigentlich gar nicht gibt, weil in diesem unserem Staate Bildung Ländersache ist, will ganz, ganz unbedingt für fünftausend Millionen Euro Hardware kaufen und den Schulen "schenken". Das ist nicht so einfach, weil Landesplittikörr zwar einerseits immer gerne Ware für lau annehmen, aber andererseits befürchten, dass sich der Bund damit nur Verfügungsmacht in den Schulen einkaufen will, und das ist genau dessen Absicht, denn andernfalls könnte die "Bundesbildungsministerin" die fünf Milliarden ja an die Länder geben, auf dass die dann einkaufen gingen. Gut, das sind die üblichen, allzubekannten dreckigen Machtspielchen eines sich selbst erhaltenden Systems, die mit unseren Steuergeldern finanziert werden. Dafür soll jetzt sogar das Grundgesetz geändert werden.

Als Demokrat, Wähler und Steuerzahler macht mich das unglaublich sauer, aber als kleiner Provinzpauker stehe ich ganz unten in der Nahrungskette und habe ganz andere Probleme, die ulkigerweise gar nix mit EDV zu tun haben.


Meine SchülerInnen können nicht mehr schreiben.

Ich rede da auch von Achtklässlern und höheren Jahrgängen. Die haben großteils das Problem, dass sie nicht einmal dann Text fehlerfrei übertragen können, wenn ich den an der Tafel oder am interaktiven Board vorschreibe. Oder als Arbeitsblatt reingebe.

Und wenn sie das rein motorische Problem der unfallfreien Übertragung von Buchstaben, Wörtern und vielleicht sogar kurzen Sätzen einigermaßen gewuppt haben, so dachte ich, wäre es doch nützlich, wenn wir sie in die Lage versetzen könnten, mithilfe dieses uralten aber neu-erlernten Zeichensystems ihre Gedanken zu verschriftlichen, vielleicht gar komplexe Zusammenhänge schlüssig darzulegen, so dass andere Menschen diese Gedanken aufgreifen, mit ihnen weiter kognitiv operieren und ihre Ergebnisse wiederum dokumentieren könnten.

Es ist - pardon: war - schon eine dolle Sache, dieses "Lesen-und-Schreiben-Können". Hat uns echt voran gebracht ...

Genug der Vorrede, hier die Fragen:

  • Aufgrund welcher Datenlage kommt Frau Karliczek zu der Erkenntnis, Mangel an Hardware sei Dreh- und Angelpunkt der Bildungskatastrophe, die gerade jetzt an unseren Schulen stattfindet?
  • Hängt sich die ganze Bildungs-Diskussion in Deutschland vielleicht nur deshalb an Hardware- und Cloud-Fragen, weil Plittikörr sich viel besser bei der Übergabe von irgendwelchem (!!!) Computerscheiß fotographieren lassen, als wenn sie berichten, es seien in diesem Jahrgang ein paar Prozent weniger funktionale Analphabeten mit Hagen und Zagen durch die Prüfung geliftet worden?
  • Sind fünftausend Millionen Euro nicht auch ein nettes Geschenk an die Industrie? Ich mein', wer verdient schon daran, wenn man SchülerInnen echtes Lesen und Schreiben beibringt? Niemand! Doch, ja, die Lehrer, aber haben die eine nennenswerte Lobby? Nein? Na also!
  • Ist die Kulturtechnik "Lesen-und-Schreiben-Können" gesellschaftlich überhaupt noch gewünscht? Reicht es nicht, ein paar Führungskräfte darin auszubilden, und den Rest weiterhin darin zu bestärken, Katzenfotos und streaming seien die Must-have-Over-Burner, sinnentnehmendes Lesen und sinnstiftendes Schreiben seien hingegen Bildungs-Eliten-Spießer-Kacke, total überflüssig, und Bücher seien per se langweilig und anstrengend und ein erfülltes Leben hieße, sich sechs Stunden (*) am Tag mit einem streaming-Dienst die Birne wegzuflexen, den Rest des Tages zu schlafen, zu essen, niedere Arbeiten zu verrichten und vor allem: allen möglichen Mist zu konsumieren? 
  • Ist es nicht auch so, dass "Lesen-und-Schreiben-Können", seit es der breiten Masse zur Verfügung stand, immer nur für ganz viel Aufmüpfigkeit und Unruhe, bis hin zur unverhohlenen Kritik an der Obrigkeit, geführt hat? In Bayern, Indonesien, der Türkei und allen weiteren Autokratien würde man formulieren: "Alphabetisierung ist Beihilfe zum Terrorismus!"
  •  Und ist es nicht auch so, dass "soziale Netzwerke" und "cloud-computing" im Gegensatz dazu herrlich herrschaftlich kontrollierbare, volltransparente, pflegeleichte, beeinflussbare, zufriedene, hirnamputierte Zombie-Konsumenten-Sklaven-Heere schaffen? (**)
Geht einfach davon aus, dass ich als Lehrer eine durch und durch korrupte Söldner-Seele bin. Aber ich bin auch schrecklich dumm und brauche klare Anweisungen. Sagt mir einfach geradeheraus, wenn ich aufhören soll, das einst wichtigste und höchste Ziel aller Pädagogik, die Erziehung der Heranwachsenden zu mündigen StaatsbürgerInnen zu verfolgen. (***) Internetsüchtige, hirntote Konsum- und Arbeitssklaven zu schaffen, ist kein so attraktives Ziel, aber das kriege ich auch hin. Kostet etwas mehr, weil's ethisch nicht so prickelnd ist.


(verändert via wiki commons)
(...)
Whatever you want
Whatever you like
Whatever you say
You pay your money
You take your choice
 
Whatever you need
Whatever you use
Whatever you win
Whatever you lose
 
You're showing off
You're showing out
You look for trouble
Turn around, give me a shout
(...)
 
                                         Status Quo






 (*) Durchschnittswert mitteleuropäischer Jungerwachsener, Quelle wird nachgereicht. Statista meldet 196 min täglicher Nutzung für Deutschland 2018, aber da sind Säuglinge und Greise mitgerechnet.
(**) Bitte mal prüfen, mit welcher Taktik genau Cambridge Analytics den Wahlsieg für Trump konstruiert hat.
(***) §2 NSchG





 






Dienstag, 9. Oktober 2018

Schweigefuchs


Ach, ist das süß! Das hatte ich bis dato noch nicht gewusst, dass die Geste, die wir den allerjüngsten Schülerinnen und Schülern als "Schweigefuchs" oder "Leisefuchs" vermitteln, von den türkischen Faschisten als sogenannter "Wolfsgruß" bezeichnet und benutzt wird. Und da ich fast gar nicht in den jüngeren Jahrgängen unterrichte, habe ich auch nichts von der Diskussion des vorvergangenen Frühjahrs erfahren, diese Methode, leidliche Ruhe im Klassenraum herzustellen, abzuschaffen, weil man damit ja den Faschisten in die Hände spiele.

Was für ein Unsinn! Das Gegenteil sollten wir tun.

Was gibt es Herzerfrischenderes, als ein Rudel faschistischer Irrer dabei zu beobachten, wie sie von ihren Ober-Einpeitschern zu Rassenhass und ethnischen Säuberungen, zu Mord und Totschlag aufgestachelt werden und dabei ständig den völlig infantilen "Schweigefuchs" der Kindergarten- und Grundschulkinder machen?

Sowas muss man einmal gesehen haben, um für immer und ewig die Schwachsinnigkeit dieser massenverblödenden Symbol-Huberei der Minderbemittelten zu begreifen. Lass den Nazis doch ihre "AH"- und "88"-Kennzeichen, ihre Wolfsangeln und Steinar-Klamotten. Wenn sie das nicht hätten und nicht regelmäßig ein Hakenkreuz, böse, böse, anstierten, würden sie vermutlich vor lauter Doofheit vergessen, dass sie Nazis sind.

Den Amis geht's doch genau so. Von einem normalen Menschen erwartet man, sie / er sei ohne permanentes Flaggezeigen in der Lage, die je eigene Nationalität unfallfrei zu memorieren. In einem Land, in dem Werbung, Filmplots und andere kulturelle Ergüsse aber an 11-jährigen getestet werden müssen, um sicherzustellen, dass Erwachsene (sic!) mit dem Produkt nicht etwa intellektuell überfordert würden, ist das wohl nicht durchhaltbar. Und folgerichtig müssen die "Stars 'n Stripes" sprichwörtlich flächendeckend drapiert werden.

Die Mehrheit der Katholiken in Bayern sind offenbar auch blöd oder zumindest religiös nicht sehr gefestigt, sonst würden ja nur Vollidioten auf die Idee kommen, Kruzifixe in Amtsstuben zu dekretieren. Ich hatte schon immer den Verdacht, dass die Bayern ohne diese Maßnahme schlagartig zum Islam konvertierten, oder schlimmer noch, nähme man ihnen obendrein das blauweiße Rautenmuster weg, würden sie über Nacht vernünftig und ergo zu Preußen werden.



(Der "Schweigefuchs" - verändert via wiki commons)
Zeigt den Faschos lieber mal das "Schweige-Einhorn".