Samstag, 17. Februar 2024

Offener Brief an Volodymyr Oleksandrovyč S. aus K. /UKR

 

Lieber Volodymyr Oleksandrovyč,

Umstände wie Alter, Wohnsitz und Berufserfahrung machen es mir unmöglich, die Ukraine im Konflikt mit Russland mehr zu unterstützen, als durch meinen staatsbürgerlich-solidarischen Anteil¹ an den materiellen Gaben, die meine Regierung Euch zufließen läßt.

Eine Winzigkeit kann ich darüberhinaus allerdings beitragen, nur einen Tipp.

Eure Propaganda ist erbärmlich! Die ist so schlecht, dass sie kontraproduktiv ist. Ich kann zwar nur aus der Perspektive westlicher Rezipienten urteilen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen östlicher Kulturkreise so sehr anders ticken.

Aktuelles Beispiel

"Die ukrainische Armee gibt die seit Monaten umkämpfte Stadt Awdijiwka im Osten des Landes auf. Der neue Oberkommandierende Syrskyj und der für den Frontabschnitt zuständige General Tarnawskij teilten mit, die Soldaten hätten sich auf zuvor vorbereitete Stellungen zurückgezogen. Die Einnahme hat vor allem symbolische Bedeutung."

Oder hier:

"Russland hat die seit Monaten umkämpfte ukrainische Stadt Awdijiwka eingenommen. 'Angesichts der operativen Lage um Awdijiwka habe ich beschlossen, unsere Einheiten aus der Stadt abzuziehen und auf günstigeren Linien in die Verteidigung zu gehen, um eine Einkreisung zu vermeiden und das Leben und die Gesundheit der Soldaten zu schützen', schrieb der neue ukrainische Armeeführer Oleksandr Syrskyj bei X. Die Armee will die Stadt aber offenbar nicht aufgeben. Man werde zurückkehren.

Die Soldaten hätten sich 'entsprechend einem Befehl aus Awdijiwka auf zuvor vorbereitete Stellungen zurückgezogen', schrieb der für den Frontabschnitt zuständige General Oleksandr Tarnawskyj in der Nacht bei Telegram."

Das geht so nicht, Voly. Das ist  eine nahezu wörtliche Übernahme des Nazi-Propaganda-Framing/Wording/Slangs. Schau mal hier ab etwa 04:10. Oder googele "Frontbegradigung". Das kannste nicht machen, Oleks, und Du musst unbedingt auch Deine sogenannten Verbündeten bitten, in den offiziösen Medien auf derartige Texte zu verzichten. Die "vorbereitete Auffangstellung" stammt sogar aus dem Ersten Weltkrieg, übrigens von beiden Seiten benutzt, je nach dem, wo gerade im Stellungskrieg die Kacke am Dampfen war und man furchtbare ²  Niederlagen einsteckte. 

Sensiblere Naturen registrieren vielleicht auch, dass Eure anfängliche Sucht nach Landkarten mit der strategischen und taktischen Stagnation, also dem Übergang zum Stellungskrieg, zur Abnutzungsschlacht, deutlich abnahm. 

Besagte sensible Naturen, wie ich zum Beispiel, erinnern sich in dem Zusammenhang vielleicht an Erzählungen wie die meiner Großmutter, von der als Ehefrau eines Wehrmachtsoffiziers normativ erwartet wurde, das Vorrücken der Deutschen Wehrmacht mit einem roten Wollfaden auf einer Europa-Karte zeitnah zu protokollieren. Meine Großmutter war ehrlich genug zuzugeben, dass sie dieses Projekt dann im weiteren Verlauf des Krieges sang- und klanglos eingestampft hat, weil es zu deprimierend wurde. Nichts gegen meine Oma, aber gestatte mir, Voly, den Hinweis, dass Ihr gerade exakt denselben Fehler gemacht habt.

Ganz allgemein: Geht die Propaganda-Sache etwas ruhiger an, gefasster. Ja, Ihr habt eine militärische Auseinandersetzung mit einem bedrohlichen Gegner. Aber es wird nicht besser, wenn Ihr den Gegner, jeden einzelnen Soldaten, als "Feind" betrachtet und als "Ork" entmenschlicht. 

Viel eindrucksvoller wäre es, würdet Ihr souverän und mit ruhigem Ernst über die Sache berichten.



(verändert via wiki commons)






¹ Natürlich rede ich hier von den mannigfachen Steuern, die ich zu entrichten habe. Aber "staatsbürgerlich-solidarischer Anteil" klingt doch viel netter. Außerdem macht es deutlich, dass, wer Steuern hinterzieht, eine unsolidarische Ego-Sau ist.

² "furchtbar" waren die Niederlagen eigentlich nur für die einfachen Soldaten. Die Generalitäten waren nicht wirklich betroffen.







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Vielen Dank für Ihren / Deinen Kommentar