Montag, 10. Juni 2019

Altersmilde mit mir selbst


Es hat ziemlich lange gedauert, über 50 Jahre, bis ich mit mir wenigstens halbwegs einverstanden war. Zwei Krebserkrankungen, eine dann doch glimpflich verlaufene bei mir und eine tödliche bei meiner Frau, waren dabei sehr hilfreich. Bessere Maßstäbe menschlicher Werte als während der Jonglage an derlei absoluten Grenzbedingungen findest Du kaum.

Aber auch nachdem ich beschlossen hatte, mit mir einverstanden sein zu dürfen, fand ich den Typen, der ich davor war, herzlich zum Kotzen, na, sagen wir: zum Schämen. Zu vorwitzig weil eigentlich unsicher, zu arrogant weil eigentlich unwissend, zu provozierend weil eigentlich Weichei, zu ich-bezogen weil eigentlich Nullnummer  ...

Nun erwische ich mich dabei, mich auch mit den peinlichen Stadien meiner Entwicklung auszusöhnen. Der Knallkopp, der ich früher war, ist auch nicht allmorgendlich mit dem Vorsatz aufgestanden, auch diesen Tag wieder als Knallkopp zu verbringen und den Mitmenschen damit auf die Nerven zu gehen. Ich habe im Gegenteil immer unfassbar viel Energie damit vergeudet, das zu sein, wovon ich annahm, dass Andere es als "lieb & nett" oder "voll ok" oder zumindest als "nicht völlig daneben" betrachten würden.

Und gerade dann, wenn ich mich am stärksten bemüht habe, den Leuten zu gefallen, bin ich ihnen am meisten auf die Nerven gegangen.

Aber: Das konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht wissen. Ich war doof, und ich lebte nicht gerade in einem Milieu, in dem derlei taoistisch-philosophisches Gedankengut [*1] Alltagsgeschäft war. Ich erwarb meine Erkenntnisse auf die harte Tour [*2]. Zweites Aber: Ich habe mich stets bemüht (in bester faustischer Tradition) und mich auch durch die immerwiederkehrende Erkenntnis, nach wie vor ein Knallkopp zu sein, nicht entmutigen lassen. Das rechne ich dem damaligen Ich ganz hoch an.

Und wo wir gerade dabei sind: Ich bin natürlich in vielerlei Hinsicht immer noch ein Knallkopp und mit Sicherheit werde ich mich auch in zukünftigen Rückblicken über ganz viele Dinge schämen, die ich aktuell verzapfe. Aber mittlerweile kann ich das (inklusive der fälligen Scham) akzeptieren, denn ich bin immer noch Suchender, Strebender, Unfertiger, Unsicherer. Und ja: Wenn ich je damit aufhören sollte, das zu sein, dann soll auch mich der Teufel holen.

Aber es ist ok, so, wie es jetzt ist.





(Verändert via wiki commons: Hans Stubenrauch, Faust-Illustrationen)




[*1] Z.B.: "Hör' auf, Dich krampfhaft zu bemühen, damit machst Du alles kaputt." "Mach' Dir kein Bild von Dir selbst." "Ängste und Hoffnungen sind gefährliche Kategorien." etc. etc. etc. 

[*2] Oh Scheiße: Opa erzählt vom Krieg!!!










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