Am köstlichsten kann ich mich nach wie vor über mich selbst amüsieren.
Hatte ich schon erwähnt, dass ich seit ein paar Tagen an einer Corona-Infektion laboriere? Ich bin darüber ein klitze-bisschen beleidigt, weil ich
a.) nach dreifacher Impfung nicht mehr mit so einer heftigen Symptomatik gerechnet hatte,
b.) insgesamt sehr diszipliniert und konservativ mit Infektionsschutz-Sachen (Maskentragen etc.) umgegangen bin, und es unfair finde, dass es es mich jetzt, nach drei Jahren, trotzdem erwischt und weil ich
c.) eigentlich auch überhaupt keinen Bock auf so eine völlig aus der Mode gekommenen Uralt-Krankheit hatte.¹
Seit gestern sind nun auch Geruchs- und Geschmackssinn beim Teufel, und als sich dieser mein Eindruck heute Morgen zu einer Gewissheit verfestigte, war ich erneut überrascht. Und ich musste tatsächlich erst darüber nachdenken, wieso mich das überraschen konnte, denn das Phänomen gehört ja zur typischen Corona-Symptomatik dazu, wenngleich es nicht zwingend auftritt.
Wie bei der ganzen Corona-Sache hatte ich, so muss ich im Nachhinein feststellen, offenbar das Gefühl, solche Dinge stießen immer nur anderen zu, aber nicht mir. Das ist keine Arroganz. Ich war auch immer sehr berührt, mitfühlend, sehr empathisch, wenn ich hörte, dass "es" wieder jemanden in meiner Nähe erwischt hatte. Aber für mich selbst war das eigentlich keine echte Option ...
Drauf geschissen! Stattdessen: Wie mitfühlend kann ich wohl wirklich gewesen sein, wenn ich die Sache plötzlich ganz neu und anders und als viel gravierender bewerte, sobald sie mich persönlich (be-)trifft?
Hübsch menschliche Frage, sowas.² Jedenfalls glaube ich, dass bei allen Menschen zwischen wahrhaftig empfundener (und gelebter) Empathie einerseits und dem Erlebnis eigenen Angeschissen-Seins andererseits ein Abgrund von Realitäts-Erleben klafft, und ich glaube, diese Erkenntnis ist nicht banal.
Nehmen wir die Leute von Tuvalu. Das sind die, deren Land demnächst absäuft, weil aufgrund der anthropogenen Klimaerwärmung der allgemeine Meeresspiegel entsprechend weit ansteigen wird. Die sind arm, können sich also nicht mit technischen Finessen freikaufen, und die wissen auch nicht, wohin, weil natürlich niemand so arme Schlucker aufnehmen und durchfüttern will.
Ich bin empört. Natürlich. Ich bin sauer und auch beschämt. Natürlich. Und wenn ich auf dieses Gefühlsset jetzt noch den o.g. Abgrund von Realitäts-Erleben draufrechne, den ich nach eigener Corona-Erfahrung auf meine normale Empathie aufrechnen muss, um die Gefühlslage bei direkter, persönlicher Betroffenheit zu erreichen, dann ... freue ich mich, dass die Tuvali so friedlich gestimmt sind, dass sie nicht zur Kalashnikov schielen, das Semtex-Bündel schnüren und in die Welt ziehen.
Ergebnissicherung: Was ich aus meiner Corona-Infektion gelernt habe, lässt sich in einer Formel darstellen.
EA = meine Empathie, wenn es Anderen dreckig geht
ES = meine Empathie, wenn es mir selbst dreckig geht
Die Formel lautet:
ΔE = ES - EA
ΔE ist ein Wert, der den Realitäts-Abgrund zwischen "gefühlter" Empathie und dem Leidenserlebnis bei konkret-eigenem Angeschissen-Sein beschreibt. Je mehr Anlässe man findet, ΔE zu berechnen, desto präziser wird der Wert. Nach einigen Wiederholungen gilt dann:
EA + ΔE = ES*
Mit ES* kann man dann bei jeder Unmenschlichkeit, die Menschen einander antun, einen plausiblen Schätzwert dafür angeben, wie schlimm das für die Betroffenen selbst sein muss - unabhängig von unserer "gefühlten" Empathie. ³
Und mit Sicherheit müssen wir ES* benutzen, wenn wir künftig über Klimawandel reden. Die Diskussionen über Maßnahmen gegen den Kollaps erscheinen mir immer noch so ... weit weg! Wenn ich den zombiehaften Habitus der alten Männer auf den vollkommen wirkungslosen globalen Konferenzen sehe, dann bin ich sicher, die agieren alle bestenfalls (!!!) auf dem Niveau von EA. Das heißt, sie sondern in Interviews die richtige Dichte entsprechender Terminologie ab, aber sie haben ganz offensichtlich nicht wirklich begriffen, worum es geht.
Ganz zu schweigen von dem Verdacht, dass sie, korrumpiert durch Ämter und Profit, EA auch lieber kleiner als größer ausarbeiten wollen ...
(Tuvalu - stark verändert via wiki commons)
¹ Ich mein': Das Ding heißt Covid-19, weil es 2019 erstmals wissenschaftlich beschrieben wurde. 2019! Wie lange ist das denn her? Gab's da schon Computer? Ich mein', ich frag' nur ...! Kann ich auch sagen, ich habe Covid-24? das klingt doch viel hipper, proaktiver, mehr nach 24 / 7 / 367 und nach 2024 und so.
² Streichen wir das Wort "Hübsch", ok? Ersatzlos.
³ Das Asterisk (*) signalisiert, dass es sich um einen erschlossenen Wert handelt.