Vorgestern Mittag in der hochsommerlichen Fußgängerzone. Leichtbekleidete Menschen of any colour and any kind geben Anlass und Gelegenheit, menschliche Schönheit zu bilanzieren. Ich abstrahiere, rede also nicht über meine persönlichen Einstellungen und Orientierungen.
Ich stelle fest:
- Es gibt Menschen, die sehen natürlicherweise einfach umwerfend gut aus, ohne irgendwas dafür zu tun oder dies besonders zu betonen und ohne es selbst zu bemerken. Das sind die Schönsten.
- Dann gibt es Menschen, die sehen liebenswert normal aus, ohne irgendwas dafür zu tun oder dies besonders zu betonen und ohne es selbst zu bemerken. Das sind die meisten.
- Weiterhin gibt es Menschen, die sehen vernachlässigt und unangenehm unhygienisch aus. Das sind die Bedauernswertesten.
- Schließlich gibt es Menschen, die offensichtlich jede Menge Mühe und Ressourcen dareinstecken, schön auszusehen, wobei "schön" in diesem Fall durch die jeweils aktuell von der Werbe-Industrie oder sonstwo von außen oktroyierten Normen definiert ist. Das sind die Häßlichsten.
Mit diesem Ergebnis kann man sehr anschaulich belegen, was im Taoismus mit dem Konzept des Nichthandelns (Wu wei) gemeint ist.
Das krampfhafte - naja, sagen wir: das höchst energieaufwändige - Bemühen, schön auszusehen (siehe Pkt. 4) führt nicht nur nicht zum gewünschten Ergebnis, sondern ist sogar kontraproduktiv und verbraucht dabei enorm viel Kraft und Geld. Konkret: Menschen, die an einem heißen Sommertag aufwändig geschminkt, gestylt und in mörderteuren Schickimicki-Klamotten durch die Innenstadt laufen, wollen zwar als schön gelten, aber gerade wegen ihres Bemüht-Seins erkennen wir sie nicht als schön, sondern als verunsichert, unreflektiert, prätentiös, neureich, überangepasst etc. etc.
Punkt 3, betr. die Verwahrlosten, verweist darauf, dass das Konzept des Nichthandelns nicht gleichbedeutend mit der Forderung nach totaler Passivität ist. Wenn es natur-gemäß angezeigt ist, dann handelst Du. Wer müffelt, ist nicht nur nicht schön, sondern richtig abtörnend.
Den anstrengungslosen Ideal-Zustand im Sinne des Taoismus' erkennen wir in Punkt 2. Und das ist das ganz und gar banale Ergebnis dieser Untersuchung: Anstrengungslose Normalität ist das geistige Ideal des Taoismus. Lao-Tse sagt: "Die höchste Erkenntnis ist nicht strahlend und glitzernd wie ein Brilliant, sondern derb und einfach wie ein Stein."
Achso, es fehlt noch Punkt 1 ... Ja, was soll ich sagen? Einige, wenige Menschen haben einfach das unverschämte Glück, ohne weiteres Zutun umwerfend gut auszusehen. Diesen Menschen wünsche ich, dass ihnen nie bewusst werde, dass das so ist. Denn ich habe auch schon natürlich-schöne Menschen gekannt, denen im Laufe der Jahre ihre besondere Schönheit so gut gefiel, dass sie sie um jeden Preis erhalten und vielleicht sogar noch steigern wollten. Die Folge war ausnahmslos immer (!) ein rasanter Absturz in Kategorie 4. Schade drum.
Ich glaube übrigens, das ist auch die einzig mögliche Interpretation, mit der wir dieser bescheuerten Adam-und-Eva-Geschichte aus der christlichen Bibel noch Sinn verleihen können. Adam und Eva erkannten nicht, dass sie nackt waren, sondern sie machten sich bewusst, dass sie verdammt gut aussahen, dass sie in ihrer Eigenschaft als erste Menschen ziemliche A-Promis waren und überhaupt mal dringend an ihrem Selbstmarketing feilen müssten. Kurz: Sie fingen an, das, was ihnen sowieso zu eigen war, noch künstlich zu pushen. Anstelle des naturgemäßen, anstrengungslosen Seins begannen sie energie-intensiven Aufwand zu betreiben, um irgendwelche fragwürdigen, übersteigerten Ziele zu erreichen.
Poff! Ende des Paradieses.