Donnerstag, 18. August 2022

Über Wu wei und die Rettung des Paradieses


Vorgestern Mittag in der hochsommerlichen Fußgängerzone. Leichtbekleidete Menschen of any colour and any kind geben Anlass und Gelegenheit, menschliche Schönheit zu bilanzieren. Ich abstrahiere, rede also nicht über meine persönlichen Einstellungen und Orientierungen.

Ich stelle fest:

  1. Es gibt Menschen, die sehen natürlicherweise einfach umwerfend gut aus, ohne irgendwas dafür zu tun oder dies besonders zu betonen und ohne es selbst zu bemerken. Das sind die Schönsten.
  2. Dann gibt es Menschen, die sehen liebenswert normal aus, ohne irgendwas dafür zu tun oder dies besonders zu betonen und ohne es selbst zu bemerken. Das sind die meisten.
  3. Weiterhin gibt es Menschen, die sehen vernachlässigt und unangenehm unhygienisch aus. Das sind die Bedauernswertesten.
  4. Schließlich gibt es Menschen, die offensichtlich jede Menge Mühe und Ressourcen dareinstecken, schön auszusehen, wobei "schön" in diesem Fall durch die jeweils aktuell von der Werbe-Industrie oder sonstwo von außen oktroyierten Normen definiert ist. Das sind die Häßlichsten.


Mit diesem Ergebnis kann man sehr anschaulich belegen, was im Taoismus mit dem Konzept des Nichthandelns (Wu wei) gemeint ist. 

Das krampfhafte - naja, sagen wir: das höchst energieaufwändige - Bemühen, schön auszusehen (siehe Pkt. 4) führt nicht nur nicht zum gewünschten Ergebnis, sondern ist sogar kontraproduktiv und verbraucht dabei enorm viel Kraft und Geld. Konkret: Menschen, die an einem heißen Sommertag aufwändig geschminkt, gestylt und in mörderteuren Schickimicki-Klamotten durch die Innenstadt laufen, wollen zwar als schön gelten, aber gerade wegen ihres Bemüht-Seins erkennen wir sie nicht als schön, sondern als verunsichert, unreflektiert, prätentiös, neureich, überangepasst etc. etc. 

Punkt 3, betr. die Verwahrlosten, verweist darauf, dass das Konzept des Nichthandelns nicht gleichbedeutend mit der Forderung nach totaler Passivität ist. Wenn es natur-gemäß angezeigt ist, dann handelst Du. Wer müffelt, ist nicht nur nicht schön, sondern richtig abtörnend.

Den anstrengungslosen Ideal-Zustand im Sinne des Taoismus' erkennen wir in Punkt 2. Und das ist das ganz und gar banale Ergebnis dieser Untersuchung: Anstrengungslose Normalität ist das geistige Ideal des Taoismus. Lao-Tse sagt: "Die höchste Erkenntnis ist nicht strahlend und glitzernd wie ein Brilliant, sondern derb und einfach wie ein Stein."

Achso, es fehlt noch Punkt 1 ... Ja, was soll ich sagen? Einige, wenige Menschen haben einfach das unverschämte Glück, ohne weiteres Zutun umwerfend gut auszusehen. Diesen Menschen wünsche ich, dass ihnen nie bewusst werde, dass das so ist. Denn ich habe auch schon natürlich-schöne Menschen gekannt, denen im Laufe der Jahre ihre besondere Schönheit so gut gefiel, dass sie sie um jeden Preis erhalten und vielleicht sogar noch steigern wollten. Die Folge war ausnahmslos immer (!) ein rasanter Absturz in Kategorie 4. Schade drum.

Ich glaube übrigens, das ist auch die einzig mögliche Interpretation, mit der wir dieser bescheuerten Adam-und-Eva-Geschichte aus der christlichen Bibel noch Sinn verleihen können. Adam und Eva erkannten nicht, dass sie nackt waren, sondern sie machten sich bewusst, dass sie verdammt gut aussahen, dass sie in ihrer Eigenschaft als erste Menschen ziemliche A-Promis waren und überhaupt mal dringend an ihrem Selbstmarketing feilen müssten. Kurz: Sie fingen an, das, was ihnen sowieso zu eigen war, noch künstlich zu pushen. Anstelle des naturgemäßen, anstrengungslosen Seins begannen sie energie-intensiven Aufwand zu betreiben, um irgendwelche fragwürdigen, übersteigerten Ziele zu erreichen. 

Poff! Ende des Paradieses.


(via wiki commons)
Vertongen, um 1650. 
Der Titel ist mir gerade entfallen ...
Vielleicht "Zwei Leute kriegen Kloppe"?
Oder "Spanking für Anfänger und Fortgeschrittene"?
Oder "God-Games unlimited"?







Mittwoch, 17. August 2022

Vermischte low-'n-slow-Raisonnements

 




I'm going back, back again
Flying solo, only myself to blame
Taking my chances time and time again
Goodbye to you my old friend

'Cause I'm ready to go, this feeling won't stop
Hitting the road, it's all that I've got
It's automatic

Foot to the floor, I can't take anymore
Running from the life I tried to ignore
It's automatic, automatic

(...)
Amy Macdonald: Automatic









Es gibt sie noch: Die Stadtgrenze!






Die Kleeblätter der Autobahnkreuze verdeutlichen so schön,
wie sehr unsere Wahrnehmung einer Sache von Distanz und Sichtwinkel abhängt.
Als Autofahrer stellt sich das AB-Kreuz für mich völlig anders dar,
als als Low&slow-Pilot. 






Sonntag, 14. August 2022

Definiere: Zuhause

Weil's Umstände, die ich nicht steuern konnte und kann, so ergaben, haben ich einen sehr fließenden Umzug von meinem bisherigen Domizil ins fürdere. Derzeit ist die Lage so, dass ich in dem alten noch ganz gut und in dem neuen schon leidlich wohnen kann. Das klingt vermutlich sehr stressfrei und entspannt, und ich will auch nicht mäkeln.

Aber ohne es zu wollen, dekonstruiere ich damit das, was "Zuhause" für mich ausmacht. Lassen wir Selbstverständlichkeiten beiseite, wie z.B. saubere, funktionable Sanitäranlagen, ein rattenschnelles Internet und einen vernünftigen Kühlschrank. Ich erwische mich derzeit bei Banalitäten: Wo steht die elegantere Kaffeemaschine? Wo liegt der neuere Elektrorasierer? Die RICHTIG gute Matratze? Die elektrische Zahnbürste? Hier und da und dort, natürlich. Aber: Ist es bereits an der Zeit, die präferierten Alltagsgegenstände konsequent ins neue Haus zu verbringen? Dann wäre ja mein bisheriges Zuhause nicht mehr mein Zuhause, sondern höchstens mein ehemaliges Zuhause, in dem ich nur noch mit fast-schon-ausrangierten Tand rummache...

Das wäre ok, ich scheue mich nicht vor diesem Schritt ins neue Zuhause, aber ich kann mich köstlich über mich selbst beömmeln, anhand welcher völlig banalen Kriterien ich "Zuhause" definiere. "Home is, where my electric toothbrush is!" - Ist das wirklich so einfach?


(verändert via wiki commons)
CANTRIE ROOOOOODS, TEEEEHK MI HOOOOHM .... 







Sonntag, 7. August 2022

Zeitgemäß beleidigen

Mit dem erhobenen Mittelfinger, dem sogenannten "Stinkefinger", bin ich nie so richtig glücklich geworden. 

Das liegt daran, dass ich 
erstens die Bedeutung nie richtig verstanden habe bzw. nie entscheiden konnte, welche der vielen mir genannten Bedeutungshypothesen am plausibelsten schien und
zweitens stets das Gefühl hatte, diese inflationäre Geste sage mehr Negatives über den*die Anwender*in als über die*den Adressat*in und
drittens die Verknüpfung von sexuellen Bezügen mit negativen Konnotationen (vgl. auch "Fick Dich!", "Wichser") bestenfalls auf verzweifelte pubertäre Verwirrung zurückführen konnte. Menschen mit einem funktionierenden Sex-Life stehen da eigentlich drüber. 

Gleichwohl verstehe und bejahe ich das Bedürfnis nach gestischer Beleidigung, wo immer die subtile verbale Injurie keinen Ort hat. Ja, ich meine den Straßenverkehr, und ja, das liegt daran, dass ich derzeit viel auf Autobahnen unterwegs bin. Das althergebrachte "Vogel-zeigen" ist ziemlich veraltet, gestisch viel zu aufwendig - im Vergleich zum lässig erhobenen Mittelfinger - und könnte übersehen werden, wenn es im schattigen Dämmer eines geschlossenen Pkw durchgeführt wird. 

Nein, da muss etwas völlig Neues her, und da ich auf konstruktive Kritik stehe, hier mein Vorschlag:



Abb. 1: Der erhobene kleine Finger.
Hier aus der Sicht der*des Zeigenden, um die exakte Fingerhaltung zu verdeutlichen.

Aussage / Interpretation: "Dein Verhalten legt den Schluss nahe, dass Du einen viel zu kleinen Penis hast und / oder beim Sex eine Lusche bist und verzweifelt versuchst, dies zu kompensieren. Ich weise Dich darauf hin, dass dieser Dein Versuch im Ergebnis kontraproduktiv und zum Fremdschämen peinlich ist. Die restlichen 99,7 % der Straßenverkehrsteilnehmer*innen würden es im Hinblick auf ihre Ruhe und Sicherheit wirklich begrüßen, wenn Du aufhörtest, Dich wie ein Idiot zu benehmen."

Diese Beleidigung funktioniert inhaltlich so richtig gut natürlich nur bei Männern, aber im Straßenverkehr ist das auch der intendierte wesentliche Adressatenkreis. Wer kauft denn, bitteschön, SUV's, Mercedesse, BMWs, Porsches, Audis etc.? Warum gelten kleine, praktische, sparsame Stadtflitzer als "Frauenautos"¹? Wer nötigt andere lichthupenderweise? Wer benimmt sich auf Autobahnen wie ein minderbemittelter Gorilla?


(verändert via wiki commons)




¹ Tipp: Googel mal Bilder zum Schlagwort "Frauenautos".






Freitag, 5. August 2022

Mit drei Fragen kommt man ziemlich weit.

Bei der Lektüre der Berichterstattung zu den chinesischen Sanktionen gegen die Pelosi.

Frage 1: Mehr als nur ein Gefühl beschleicht mich die eher feste Überzeugung, dass Pelosi sich auf die chinesischen Sanktionen ein Ei pellt. Ob es den Betroffenen der gegen Russland und Russen gerichteten Sanktionen wohl auch so geht? Ich höre niemanden schreien, sehe niemanden ernsthaft leiden. Ist das alles vielleicht nur sehr symbolische Symbol-Politik?

Frage 2: Nehmen wir an, meine o.g. Prämisse sei falsch und die Chinesen hätten der armen Pelosi tatsächlich böse wehgetan, dann hätte das in unserer Welt natürlich nur über wirtschaftliche Nachteile stattfinden können.¹ Da wäre ich natürlich schon sehr interessiert zu erfahren, welche wirtschaftlichen Verbindungen es zwischen der drittmächtigsten Frau der U.S. of A. (und also der westlichen Welt) einerseits und dem großen, bösen, kommunistischen Drachen andererseits gibt. Wieso darf die Pelosi mit China Geschäfte machen, aber wir hätten - im Nachhinein festgestellt - mit den Russen nicht gedurft?

Frage 3: China will die Pelosi bestrafen und schließt selbstverständlich ihre "unmittelbaren Angehörigen" ein? Sippenhaft? Wie fern muss man den Menschenrechten sein, um das so selbstverständlich mit zu denken?



(stark verändert via wiki commons)

Ich wünschte, ich könnte mir tatsächlich ein Bild von ihm machen ...
  




¹ Alternativ wären ja nur Injurien im ethisch-moralisch-menschlichen Bereich denkbar, sagen wir, durch böswillige Verleumdungen... Köstlicher Scherz, nicht wahr? Als ob Plittikörr in dem Bereich noch etwas zu verlieren hätten.





Mittwoch, 3. August 2022

Wieder diese quälend schlichten Gedanken


Mir ist natürlich absolut klar, dass ich überhaupt keine Ahnung von der Thematik habe und dass jede meiner Hypothesen oder gar Analysen ein Ausbund an Naivität und Lächerlichkeit sein muss ...

... aber ...

mich umnachtet der Hauch einer Idee, dass die derzeit allerseits beklagte Konsumzurückhaltung mit einem Umsatzrückgang von 8,8 % im Einzelhandel mehr sein könnte, als eine zufällige Koinzidenz zu der Tatsache, dass die sogenannten Verbraucherpreise um 8,9 % gestiegen sind. Konkreter: Wenn die Konzerne den Ukraine-Krieg zum - meist nur vorgeschobenen¹ - Anlass nehmen, die Preise kräftig hochzudrehen, dann erscheint es mir doch als eine vernünftige und nachvollziehbare Reaktion, wenn die Leute weniger kaufen. 

Ich begrüße die Entwicklung: Nach Corona und nun durch die Verwerfungen im Gefolge des Ukraine-Krieges fangen die Leute an, unsere bzw. ihre Konsumgeilheit in Frage zu stellen. Mit etwas Glück befeuern die Global Players gerade den Untergang ihres krankhaft profitgeilen Systems. Wenn sich jetzt bitte nochmal ein Schiff im Suez-Kanal festfahren könnte, wäre der Drops gelutscht.  


(Hannover, 1911 - verändert via wiki commons)



 ¹ Dass die Begründungen nur vorgeschoben - also eigentlich gelogen - sind, schließe ich daraus, dass die Marktsegmente, in denen so irre Preissteigerungen stattfinden, von Land zu Land völlig unterschiedlich sind. Die Preise steigen bei uns nicht, weil "der Weltmarkt es diktiert", sondern weil die Konzerne glauben, dass wir es mit uns machen lassen. Und diese Befindlichkeit ist je nach Produkt  in Doitschland nun mal anders als z.B. in Frankreich oder Spanien oder Norwegen.






Freitag, 29. Juli 2022

Drei einfache Fragen

 

Erstens: Ich verstehe das richtig: Ölkonzerne wie Shell verfünffachen ihren Quartalsgewinn, weil sie aus dem Ukraine-Krieg mörderische Gewinne ziehen, und gleichzeitig müssen künftig  Familien pro Jahr ca. 1.000,00 € zusätzlich zahlen, um notleidende Energieanbieter wie Uniper zu retten?

Zweitens: Ich verstehe weiterhin richtig: Nach vier Jahren ohne Regen verhungern in Somalia die Kinder, aber in Europa diskutiert man über Unklarheiten im Ringtausch schwerer Waffen?

Drittens: Wie gravierend muss die kollektive psychotische Störung  unserer Specie sein, dass wir NICHT jetzt, sofort, friedlich und gewaltfrei eine grundlegende Revolution in den Regeln unseres weltweiten Zusammenlebens vom Zaun brechen? 




(verändert via wiki commons)







Donnerstag, 28. Juli 2022

Noch mehr Raisonnements eines Low&slow-Fliegers

 

Einige Felder haben so eine auffällige Zeichnung, die meisten aber nicht. In vielen Fällen gibt es für diese Muster bestimmt eine naheliegende Erklärung oder wenigstens eine höchst plausible Vermutung. In manchen aber vielleicht auch nicht. 

Zu gern wüsste ich, ob es eine praktikable Methode gibt, derlei herauszufinden.


(Irgendwo an der Hunte östlich Oldenburg)


Schon kurz nach dem Start: Der Panorama-Blick! Hier nur ein ca. 60°-Ausschnitt, man stelle sich bitte die restlichen 300° vor. Außerdem muss man sich die fehlende Auflösung des Fotoapparates schöndenken. Aber ich schwör', die Sachen sind da und eigentlich gut zu sehen. 

Legende: 1) Funkturm Rastede; 2) Westzipfel Jadebusen, davor Dangast; 3) Industrieanlagen Wilhelmshaven (etwa 58 km entfernt); 4) hab' ich vergessen 5) Kaianlagen Bremerhaven (daumenpeil 56 km entfernt); 6) Getreidesilo Brake

Und im Gegensatz dazu die ziemliche Nähe ¹: Du kannst den Bauern in Ruhe bei der Arbeit zusehen.


Den gutmütigen Spott, 120-Kilo-Trikes seien Gartenstühle am Himmel, ertrage ich huldvoll. Was bitte gibt's Geileres als einen Gartenstuhl am Himmel??? Was kann man denn sonst wollen? 



_________________

¹ Hier bin ich für meine Verhältnisse ungewöhnlich hoch, fast 300 m. Ich bevorzuge eigentlich 180 m plusminus.





Mittwoch, 27. Juli 2022

Nicht so einfach: Vertrauen.

Interessantes Interview mit einem Vertreter einer halboffiziellen us-amerikanischen Propaganda-Schmiede auf France24. Die Perspektive, beim gestern abgeschlossenen westeuropäischen Gas-Pakt sei Deutschland selbstverschuldet in der Rolle des bedürftigen Nehmers und müsse, wie einst Griechenland in der Finanzkrise - seine Hausaufgaben machen, ist neu. 

Klar ist: Es ist reinstes US-Interesse, dass Deutschland sich von den russischen Gaslieferungen emanzipiert, nicht, um wirtschaftspolitische Abhängigkeit von Russland zu reduzieren, sondern vor allem, um die Abhängigkeit vom teuren amerikanischen Fracking-Dreck gleichermaßen zu erhöhen.  

Klar ist auch: Deutlich ist zwischen den Zeilen die Lust am Deutschland-Bashing herauszulesen. Dem ewigen Muster-Knaben Versäumnisse vorwerfen zu dürfen, der Versuchung kann man nicht widerstehen.

Richtig ist: Es tut der doitschen Psyche bestimmt gut, auch mal auf die Hilfe Anderer angewiesen zu sein. Und dass Spanien, obwohl es selbst kein großes Gas-Problem hat, sich aber um unserer Willen zu Einschränkungen bereiterklärt, sollte uns Dankbarkeit und Demut lehren.

Aber: Auch im Nachhinein und auch angesichts der definitiv schändlichen aktuellen Gasversorgungs-Taktiken der Russen halte ich das deutsche Konzept der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland der letzten Jahre und Jahrzehnte für klug und richtig. Das müsste - insbesondere den westlichen EU-Partnern - vielleicht nochmal erklärt werden. 

Russland hatte historisch und hat in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit Angst, vom "Westen" wirtschaftlich, kulturell und militärstrategisch überrollt zu werden. Wie berechtigt diese Angst war und ist, lässt sich nicht abschließend beurteilen und unterliegt erheblichen Schwankungen. 

Die deutsche Ost-Politik setzt seit Willy Brandt auf Annäherung und Vertrauensbildung. (Achduscheiße, was ist das denn für ein salbungsvoller, nichtssagender Satz!? Sofort aufhören mit dem Geseiere!) Kurz und knapp: Ich fand und finde es gut, dass Deutschland sich ganz bewusst abhängig gemacht hat, genauer: dass Deutschland mit Russland ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeiten zugelassen und bewusst in Kauf genommen hat. Wenn stets nur die eine Seite die andere erpressen kann, umgekehrt aber nicht, dann kann niemals Vertrauen entstehen. 

Und ja, wir haben dabei auch finanziell einen guten Schnitt gemacht, einen, auf den die ewig zeternden Polen und die ewig imperialistisch-eifersüchtigen U.S. of A. neidvoll geblickt haben, aber die Russen waren's, soweit ich weiß, auch zufrieden, und es ist richtig, weil stabilitätsfördernd, wenn  Handelsbeziehungen zu beiderseitigem Vorteil dienen. Die Russen müssen doch auch irgendwo das Geld verdienen können, mit dem sie anschließend westliche Maschinen und Autos kaufen sollen. 

Natürlich fällt uns jetzt dieses Konstrukt teilweise auf die Füße. Ja, das ist enttäuschend. Na und? War es deshalb falsch, wie die Falken, die Klugscheißer und die notorischen Deutschland-Basher uns jetzt weismachen wollen? Nö! Man konstruiere bitte eine plausible Alternative, will sagen: Man skizziere mir eine europapolitische Alternative der letzten 40, 50 Jahre, in der wir "Westler" immer nur auf "dicke Hose" machen, immer nur aus einer Position der Stärke und Überlegenheit mit den Russen respektive den Sowjets kommunizierten. Ich bin sehr gespannt.



Rechte Bratzen, Besserwisser, Kriegshetzer, Alt-Nazis, Spießer, US-Amerikaner, Visegrad-Autokraten. Man schaue sich bitte mal genau an, wer an der deutschen Russland-Politik herummäkelt.
Vielleicht erkennt man ein Muster. 
 






Dienstag, 26. Juli 2022

It's a gas! Gas! Gas!

 

Boah, wäre das schön. Man stelle sich vor, in dieser Situation, da wir mittels der russischen Gaslieferungen erpressbar sind und erpresst werden, würde das ganze deutsche Volk gemeinsam, gleich und solidarisch reagieren und unisono trotzen und den je individuellen Gasverbrauch klug und freiwillig und radikal reduzieren - bis Putin begreift, dass er uns mit so miesen Methoden nichts anhaben kann, sondern nur die Interessen seines eigenen Volkes schädigt.

Oder noch schöner: Nicht nur die Deutschen, sondern alle freien, real-demokratischen europäischen Nationen, sprich: die im Westen und Norden, bewiesen in der Gas-Spar-Sache so eine Einmütigkeit und Solidarität, wohl wissend, dass, je konsequenter und uneingeschränkter eine solche Selbstbeschränkung im Gasverbrauch ausfiele, desto kürzer die Krise andauerte.

Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.    

Nicht nur unser Wirtschafts-, sondern unser gesamtes Gesellschaftssystem basiert auf dem Prinzip hemmungsloser, individueller - nein: egomanischer - Gier. In der Folge sind wir nicht mal mehr dann in der Lage, rational und solidarisch zu handeln, wenn dies mittel- oder langfristig zu unserem ganz persönlichen Vorteil wäre. 

Daraus folgt:

  1. Putins dreckige Tricks mögen ethisch untragbar sein, sie basieren aber auf einer glasklaren Einsicht in unsere Denk- und Handlungsmuster und sind daher in sich schlüssig.
  2. Die Reaktionen doitscher und europäischer Plittikörr sind so offensichtlich lächerlich und erbärmlich, weil die Herrschaften zwar einerseits die erschütternde Wahrheit über unsere geistige Verfasstheit kennen, weil ihre persönliche Macht ja genau darauf basiert, weil sie aber andererseits das zutiefst Unethische unserer Grundhaltung auf keinen Fall offen benennen dürfen.
  3. Man sagt, wenn überhöhter Eigenanspruch mit niedriger Realität kollidiert, entstünde Komik. Irgendwie stimmt das aber wohl nur so halb ... 

Dennoch bleibe ich dabei: Was wäre das für ein traumhafter Zustand, wenn wir wirklich fähig wären, gesamtgesellschaftlich solidarisch zu sein. 

Und wie sehr hasse ich die Aussicht, dass ich spätestens mit Wiederbeginn der Heizperiode daran werde denken müssen, dass die profitgeilsten, rücksichtslosesten, reichsten Arschlöcher in diesem unserem Lande sich erneut auf Kosten der Allgemeinheit jeden denkbaren energetischen und finanziellen Vorteil verschaffen werden, während ich arme Wurst gestern die Zirkulation im häuslichen Warmwasserkreislauf runtergefahren habe, um den privaten Gasverbrauch ein klitze-bisschen zu reduzieren. 





(stark verändert via wiki commons)