Habe spontan einen - wie soll man das nennen? Heimatführer? Ein Heimatbuch? - von Ostfriesland gekauft, Helmke: Das östliche Friesenland, Wittmund, 2021. Dachte, nettes Geschenk für Leute, die zwar mich kennen, nicht jedoch die Gegend, in der ich lebe. Das Buch entspricht nicht den Hoffnungen, die ich in es setzte. Es tümelt zu viel, und die Tümelei ist mehr oder weniger austauschbar mit jeder ländlichen Region Mitteleuropas. Zwar differiert, was da im Einzelnen tümelt, nicht aber das Tümeln an sich.
Am meisten stört mich der nur schlecht kaschierte Stolz des Schreibers bei der sich ständig wiederholenden Aussage, der ostfriesische Bauer sei nun mal recht(s) konservativ. Erstens waren Landkreis Wittmund und der größere Teil Ostfrieslands bei der Bundestagswahl stramme Sozen-Hochburgen, zweitens bin ich selbst stock-konservativ und wünsche nicht, mit den dümmstmöglichen Spießern unter den Bauern dieser Region in einen Topf geworden zu werden. Zumal die absolute Mehrheit der mir bekannten ostfriesischen Bauern das völlige Gegenteil von dümmlichem Spießertum repräsentiert und ergo nicht konservativ im Sinne o.g. Lektüre ist.
Und da die künftige Ex-Regierungspartei Doitschlands aktuell und aus gutem Anlass darüber nachdenken muss, was "konservativ" eigentlich bedeutet, hier ein wenig Nachhilfe:
Lat. "conservare" heißt "bewahren". Diese Übersetzung erklärt alles, denn bewahren kann man alles, was es je gab, und folglich erklärt sie nichts, denn Syphilis, Hexenverbrennungen und ein Leben als Jäger und Sammlerinnen beispielsweise werden mehrheitlich nicht zurückgewünscht. Die Selbstaussage konservativ zu sein, also bewahren zu wollen, ergibt nur dann Sinn, wenn man spezifiziert, was man für bewahrenswert hält. In meinem Fall wären das die Gedanken
"Die Starken müssen die Schwachen schützen, die Schwachen müssen sich bemühen, und gemeinsam müssen sie eine für Menschen auch in Zukunft lebenswerte Umwelt garantieren. Und die FDGO. Und: Worauf Du ein Preisschild kleben kannst, ist nichts wert."
Diese Gedanken sind zwar nie konsequent umgesetzt worden, aber sie sind uralt und mein Konservatismus besteht darin, dass ich es für absolut nötig halte, sie zu bewahren.
Dagegen steht das Gedankenmodell
"Scheiß auf das Althergebrachte! Du darfst und musst ALLES tun, was Dein krankhaft egomanisch-machtgeiles Hirn Dir eingibt, um mehr und immer mehr Macht über Menschen zu gewinnen. Skrupel zeigen nur Deine Schwäche. Der ausschließliche Erfolgsparameter ist Dein persönlicher finanzieller Profit. Worauf Du KEIN Preisschild kleben kannst, ist nichts wert." Dieses Modell ist absolut fortschrittlich, denn es bewahrt gar nichts. Lustigerweise entspricht es in unserer politischen Gegenwart dem Axiom jener Parteien, die sich als konservativ verstanden wissen wollen. Was für eine Paradoxie! Es sei denn, man argumentiert: "Menschen waren immer schon dumme, egoistische Arschlöcher, und daran wollen wir, die wir uns Konservative nennen, nichts ändern."
Manche Definitionen sind gar nicht so einfach, wie es anfangs scheint. Und wo steht da nun der ostfriesische Bauer oder der bayrische oder hessische oder meck-pommige? Die meisten sind klug und stehen auf der richtigen Seite. Die anderen würde ich nach o.g. Definition gar nicht als konservativ bezeichnen. Die sind einfach nur so strunzendumm, dass sie ihre totale Unfähigkeit, einen neuen Gedanken zu denken, zum politischen Konservativismus hochpimpen. Es gibt einen bestimmten Grad von Strunzendummheit, da kippt die Selbstwahrnehmung, und die Betroffenen entwickeln großen Stolz ob ihrer intellektuellen Immobilität (Beispiele: "Mia san mia!" oder eben, wie bei Helmke, das Hohelied auf den konservativen ostfriesischen Bauern.)
In diesem Stadium sielen sich die Strunzen in einem Sumpf satter Selbstzufriedenheit und sind für äußere Ansprache nicht mehr erreichbar.