Längste Nacht, kürzester Tag. Wintersonnenwende, eigentlich beginnt heute das neue Jahr. Die Verschiebung des Jahreswechsel-Tages auf den 24. bzw. 31. Dezember, das sind Rechenfehler, die wir seit Jahrhunderten mitschleppen.
Zeit zur Besinnung und zu Bloggers Nabelschau. Was macht der Blog? Läuft erfreulich.
(verändert via wiki commons)
Am meisten erfreut mich die gefühlte Selbstdiagnose, dass ich im Laufe der Jahre immer erfolgreicher geworden bin, mich von fiktiven Adressaten zu emanzipieren. Ich schreibe für niemanden mehr, nicht mal für mich selbst.
Vielleicht können nur Kreativlinge, ästhetisch Schaffende, dieses Problem verstehen: Du machst irgendwas, dann kriegst Du positive Rückmeldungen, die Dich natürlich erfreuen, und später erwischst Du Dich dabei, dass Du auf eine bestimmte Art und Weise schreibst, malst, bildhauerst, musizierst, wasauchimmer, um noch mehr von diesen schönen Rückmeldungen zu bekommen. Unterbewusst fängst Du an, für ein imaginiertes, aber spezielles Publikum zu arbeiten, Dein Fähnlein immer etwas weiter in den Wind zu hängen. Mitunter erzeugst Du diesen Wind auch selbst, wenn Du nämlich ein bestimmtes Selbstbild konstruiert hast, das Du qua ästhetischem Tun bestätigen und bestärken willst.
Manches Mal habe ich mich dabei erwischt, lustig sein zu wollen. Oder besonders scharfsinnig. Oder besonders provokant. Oder: Viele meiner Texte arbeiten viel zu sehr an meinem Selbstbild.* Das sind alles Texte, die ich innerlich unter dem Stichwort "gewollte Texte" abbuche. Gewollte Texte sind grundsätzlich schlechte Texte. **
"Gewollt" bedeutet nämlich, es geht nicht mehr nur um die eigentliche Idee, um einen Inhalt, der auch jenseits meiner Person Gültigkeit hat, sondern darum, andere und/oder mich selbst intellektuell und ästhetisch zu befriedigen. Gewollte Texte können nicht frei fließen, sich nicht aus sich selbst heraus entwickeln, stattdessen muss der Schreiber, im Bemühen, unbedingt ein Ziel zu erreichen, ständig steuern, kontrollieren, konstruieren, biegen und brechen. Das ist anstrengend und schmerzhaft für alle Beteiligten.
Und falls, wie neulich geschehen, jemand fragt, was es eigentlich mit diesem Tao-Kram auf sich hat: Genau das: Hör' auf, angestrengt ein "gewolltes" Ziel erreichen zu wollen.
(Jefferson Airplane, White rabbit, Woodstock 1969 - verändert via wiki commons)
* Erstaunlich oft bearbeiten viele Texte übrigens im Subtext mein anscheinend latentes Trauma, bei Woodstock 1969 nicht dabeigewesen zu sein. 1969 war ich erst sieben Jahre alt, niemand hatte mich auf den Termin hingewiesen, und ich bezweifle, dass meine norddeutsch-kleinstädtischen-mittelstands-bürgerlichen Eltern einen Besuch des Konzertes erlaubt hätten, von finanziellen Quisquilien ganz zu schweigen. Aber ich bin sicher: Mein Leben wäre anders verlaufen, hätte ich damals Country Joe oder Jefferson Airplane life on stage erlebt - ganz anders! Aber hallo!
**Die meisten, leider nicht alle, habe ich noch vor Veröffentlichung gelöscht.
(Country Joe & the Fish, Vietnam Song, Woodstock 1969 - stark verändert via youtobe)