Diese Karikatur ist uralt und begleitet mich gefühlt schon mein ganzes Lehrerleben:
Meistens wird das Bild in Texten zum Thema "Chancengleichheit" appliziert, und es richtet sich kritisch gegen ein Unterrichts-, Bewertungs- und Prüfungssystem, das nahezu ausschließlich auf kognitive Fähigkeiten abhebt. Im Namen der Chancengleichheit lassen sich daraus alle möglichen (!) pädagogischen, lernpsychologischen, schulorganisatorischen und gemeingesellschaftlichen Forderungen ableiten.
Und diese Forderungen wurden und werden auch tatsächlich erhoben und umgesetzt - in den meisten Fällen von BildungsplittikörInnen, die selbst keine praktische Erfahrung mit Schule haben, sieht man von ihrer eigenen, längst vergangenen Schulzeit und vielleicht der ihrer Kinder ab. Die Folge dieses jahrzehntewährenden, permanent unevaluierten Prozesses ist, dass die LehrerInnen heute, ganz im Sinne von Integration und Inklusion, täglich vor Klassen stehen, deren SchülerInnen in ihren Voraussetzungen genau so heterogen sind, wie es die Karikatur so treffend darstellt.
Was kann man da unterrichten? Auf-Bäume-klettern geht nicht, das wäre unfair gegenüber Elefant, Fisch, Seehund und Hund. Das legt der Sprechblasentext ja auch nahe. Fliegen und Schwimmen ist aber auch kein adäquater Unterrichtsinhalt, weil nur für je zwei von sieben SchülerInnen angemessen. Lesen, Schreiben, Rechnen entfällt auch: Der Fisch ist zu doof, die Anderen sind dafür sonstwie mehr oder weniger gehandicapped oder das sozio-ökonomische Umfeld lässt es einfach nicht zu.
Was also tun? Zwei Dinge. Erstens: Man suche fachlich den kleinsten gemeinsamen Nenner, ein Ziel, das alle problemlos erreichen können und sich dann in der Gruppe gut fühlen und in der Schule gut aufgehoben, gewertschätzt und, ja, geliebt, so, wie sie sind. Die Lerngruppenanalyse der in dem Bild dargestellten Klasse ergibt als infrage kommende gemeinsame Unterrichtsinhalte: Atmen, fressen und kacken.
Gut, das sind keine sehr ambitionierten curricularen Vorgaben für eine Nation, die außer gut ausgebildeten jungen Menschen keine Ressourcen hat. Und man könnte einwenden, dass diese Anforderungen so niveaulos, pardon: niederschwellig, sind, dass die abgebildeten SchülerInnen das bisher auch ohne besondere schulische Ausbildung hingekriegt haben, aber wir brauchen ja irgendwas, was wir zum Schluss prüfen können, ohne, dass uns weiterhin vorgeworfen wird, wir würden ein System fortschreiben, das Einzelne benachteiligt.
Zweite Option: Binnendifferenzierung. Eine Super-Idee, die individuelle Förderung einzelner SchülerInnen. Eine wahnsinnig aufwändige Methode, die ausschließlich über die Arbeitsverdichtung bei den LehrerInnen gewuppt wird, d.h. alle finden die Idee super, aber es gibt weder Geld noch Entlastungsstunden dafür, nur die je individuelle Mehrarbeit und die exponentiell gestiegene Erwartungshaltung an das Leistungsvermögen der LehrerInnen. Und: Die Idee stammt aus einer Zeit, als es noch Förderschulen gab, als junge Menschen mit Behinderungen also noch außerordentlich engagiert und erfolgreich von dafür ausgebildeten Profis betreut und beschult wurden.
Die Binnendifferenzierung war ursprünglich nie dafür ausgelegt, guten Unterricht sowohl für das ES-Kind als auch für das Gymnasial-Empfehlungs-Kind in einem Klassenraum zu organisieren. Auf die bescheuerte Idee, man könne sowas doch mal machen, kam man auch nicht, weil das jemals irgendwo funktioniert hätte, sondern, weil man damit irrsinnig viel Kohle einsparen kann.
Und so sieht der binnendifferenzierte Unterricht heute aus: Der Seehund, der sich weitab des Wassers recht unwohl fühlt und entsprechend mürrisch ist, schnüffelt am Terrier, der aber ADHS-zertifiziert ist und ergo schockiert dem Seehund in die Flosse beißt. Der Seehund jault, der Elefant springt erschreckt auf, wirft dabei das Goldfischglas um, der Goldfisch droht zu ersticken. Während die Lehrperson hinzustürzt, um das Chaos zu bearbeiten, wird's dem Affen zurecht langweilig, er klettert auf den Baum. Der Schuhschnabel hat erkannt, dass die Nummer wohl wieder länger dauern wird und beginnt verbotenerweise mit seinem Handy zu spielen. Die Elster versucht, wenigstens ansatzweise, ein paar Aufgaben aus dem Wochenplan zu bearbeiten, merkt aber schnell, dass das zu Hause besser ginge, weil man sich hier einfach nicht konzentrieren kann und fliegt davon ...
Ja, ja,ja, das ist Alles natürlich viel zu schwarz gemalt, und ich gebe zu, dass ich provozierend überspitze. Hier mein konstruktiver Gegenvorschlag:
- Wir nehmen alle Jung-Affen dieser Region und trainieren mit ihnen das Baumklettern. Dafür sind sie gebaut, da werden sie Erfolgserlebnisse haben, das wird ihnen Spaß machen, und es ist nützlich.
- Wir nehmen alle Jung-Schuhschnäbel dieser Region und trainieren mit ihnen das Fliegen und zeigen ihnen Tricks bei ihrer sehr speziellen Art der Nahrungssuche. Dafür sind sie gebaut, da werden sie Erfolgserlebnisse haben, das wird ihnen Spaß machen, und es ist nützlich.
- Wir nehmen alle Jung- Elefanten dieser Region und ...
- etc. etc. etc.
- Außerdem lehren wir ausnahmslos allen Tieren Toleranz, Respekt und Mitgefühl für alle anderen Tiere, die Unantastbarkeit der FDGO und noch ein paar andere Sachen aus dem "geheimen Lehrplan".
(verändert via wiki commons)
Klar soweit?