Freitag, 11. August 2017

Bizarre Beziehung


Neulich war ich mal ausweglos geistig gelangweilt. Stellte mir Denksportaufgabe: "Was würde ich der/dem BundeskanzlerIn Deutschlands sagen, wenn ich 15 Minuten ihrer/seiner ungeteilten Aufmerksamkeit in stillem Kämmerlein hätte?" Ernüchterndes Ergebnis: Hunderte hochethischer und kluger Gedanken, die aber allesamt folgenlos verpuffen würden.

Analogie: Was mache ich denn als Lehrer, wenn SchülerInnen im persönlichen Gespräch klagen über Missstände, die ihnen das Schulsystem erzeugt? Selbst wenn ich ihre Kritik für berechtigt hielte, würde ich ja doch im Hinterkopf meine Sicht auf die vielen Zwänge, die Rücksichtnahmen, die individuellen und institutionellen Korruptionen und einst geschlossenen gesellschaftlichen Kompromisse, kurz: die ganzen "gewachsenen Strukturen" haben, die zu den vielen kleinen oder großen Miseren führten.

Es wäre bestenfalls beschwichtigendes Blabla, mit dem ich berechtigter Kritik entgegenträte, und später, in Momenten gesteigerter ethischer Sensibilität, würde ich mich wahrscheinlich schlecht fühlen, mich von diesem Dreckssystem so korrumpiert haben zu lassen, dass ich es überhaupt - und wenn auch nur lahm - verteidige, statt ehrlicherweise zu sagen "Ja, Du hast recht. Ich erkläre Dir eben die Ursachen, und dann lass uns endlich das ganze verkorkste System über'n Haufen schmeißen. 'The future starts today'!"

Auch von Plittikörrn aller Couleur hören wir nur beschwichtigendes Blabla, bei Polit-Profis vermutlich ohne nachgehende Skrupel, da krankhafte Machtgeilheit die Momente gesteigerter ethischer Sensibilität längst rückstandslos untergepflügt haben. [*1]

Egal, es bleibt das Ergebnis, dass vernunftbasierte Kommunikation zwischen verschiedenen Ebenen gesellschaftlicher Macht nicht existiert, nicht existieren kann.

Was bleibt?

In Diktaturen nur die solidarische, gewaltfreie Revolution von unten mit dem Ziel einer echten Demokratie.

In Gesellschaftsformen, in denen tatsächlich allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen die Machtfrage klären, in Demokratien also, bleibt nur höflich kaschierte gegenseitige Verachtung.

Der letzte Satz muss erklärt werden. Dabei verkürze ich die Akteure einerseits auf das wahlberechtigte Volk, den verfassungsgemäßen Souverän des Staates, und andererseits auf die Kaste der Plittikörr, denen das Wahlvolk die Ausübung der Macht übertragen hat.

Warum also "nur höflich kaschierte gegenseitige Verachtung" zwischen diesen Akteuren? Ganz einfach:

Das Wahlvolk darf nie, niemals, niemals wieder vergessen,
  • dass den gewählten Plittikörrn die Macht nur vorübergehend von ihm übertragen wurde [*2] und 
  • dass die Leute, die am meisten darauf aus sind, diese Macht zu erhalten, grundsätzlich am wenigsten geeignet sind, sie auszuüben und   
  • dass Macht korrumpiert, absolute Macht absolut.

Umgekehrt denken PlittikörrInnen, wenn sie ans Wahlvolk denken, grundsätzlich an eine Horde infantiler Idioten. Das ist anhand der Art und Weise, wie sie uns ganz offensichtlich und schamlos belügen, betrügen, vertrösten und mit irrwitzigen Wahlversprechen zu ködern gedenken, eindeutig zu belegen.

Und der Erfolg spricht ja nicht unbedingt dagegen. Und so ist es mitunter schon in Ordnung, wenn Plittikörr nicht sofort jeden Schwachsinn ernst nehmen oder gar umsetzen, den ein von Populisten jederzeit hochpeitschbares und hochgepeitschtes Volk in temporärer Aufgeregtheit fordert, man denke an die hirnlosen Diskussionen um Todesstrafe, Flüchtlinge, Europa, blablabla ... Da kann die unerträgliche Arroganz der Plittikörr-Macht durchaus positive, weil stoßdämpfende Wirkung haben.

Dieser Antagonismus, ein kritisches, jeglicher staatlicher Macht gegenüber misstrauisches Wahlvolk auf der einen und eine machtgeile und begrenzbar machtausübende Plittikörr-Kaste auf der anderen Seite, das scheint, so unglaublich es klingt, ein Erfolgsrezept zu sein.

Natürlich ist es etwas peinlich, zugeben zu müssen, dass wir, ach, so aufgeklärten und intelligenten WählerInnen uns nicht einfach auf der Basis von Vernunft, Solidarität und Mitgefühl selbst verwalten können, sondern dazu der Hilfe psychopathischer Machtmenschen bedürfen. Soll da des Sängers Höflichkeit schweigen. Aber wir dürfen es auch nicht völlig vergessen. [*3]








[*1] Und dabei rede ich von den noch leidlich demokratischen Vertretern. Bei den zertifizierten Riesen-Arschlöchern, den Erdogans, Trumps, Kims, Kaczinsys, Orbans etc. etc. etc. etc. etc. würde schon der allererste Anflug ethischen Räsonnements zum sofortigen Zusammenbruch führen.
 
[*2] Während ich dies schreibe, läuft ganz in der Nähe gerade eine Veranstaltung, die diesen scheinbar banalen Satz hochaktuell macht. 

[*3] Vgl. Defäkation. Jede/r macht's, es sollte normalerweise nicht unser Denken beherrschen, aber  vergessen sollten wir's auch nicht.