Jahresanfangs-Ritual. In der Zeit "zwischen den Jahren" kann man das Hirn dümpeln lassen, und wenn man jetzt wieder Fahrt aufnimmt, ist's klug sich kurz zu orientieren, wo man ist und wo es hingehen soll.
Um in der maritimen Metaphorik zu bleiben, machen wir eine Kreuzpeilung zur Standortbestimmung.
Landmarke 1:
”There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.” Warren Buffett in New York Times, 26.11.2006Landmarke 2:
Im Gegensatz zur "rich class" ist es den Nicht-Reichen dieser Welt nicht gelungen, sich zu einem gemeinsamen Widerstand zu solidarisieren. Durch dümmlichen Egoismus und Opportunismus lassen sie sich immer wieder korrumpieren und gegeneinander ausspielen. Das ist so dumm, dass mein Mitleid täglich schwindet.
Landmarke 3:
Das Projekt der Aufklärung ist, was den Großteil der Specie Homo sapiens angeht, gescheitert. Das Konzept, durch Experimente falsifizierbares Wissen zur Grundlage relevanter und rationaler Entscheidungen zu machen, hat sich nicht durchgesetzt. Das Verhalten des Individuums hat sich emanzipiert von der Fähigkeit, sich seines Verstandes zu bedienen.¹ Es gibt keine normative Erwartung mehr, Du solltest Dich vernunftgemäß verhalten.
Landmarke 4:
Mit dem Konzept der Vernunft ist auch die Idee der Demokratie untergegangen. Demokratie bedeutet eigentlich, dass mündige Staatsbürgerys als höchste staatliche Macht entscheiden, was langfristig gut und förderlich für die Gemeinschaft ist. Und die Aufgabe der Parteien ist, diesen Willen zu bündeln und in praktisches Handeln umzusetzen. Demokratie bedeutet nicht "Wähl' Dich reich!" und auch nicht "Lass Dir von krankhaft machtgeilen, hemmungslos egomanischen Menschen das Blaue vom Himmel versprechen und statte sie im Gegenzug mit unsäglicher Macht aus!".
Bittere Bilanz, oder? ² In welche Richtung soll man jetzt losschippern?
Ich versuche es immer wieder mit Hoffnungslosigkeit. Mit einer No-future-Mentalität. Es spricht alles, alles, alles dagegen, dass wir einen Kurswechsel schaffen werden. Und selbst wenn wir es hier, in dieser Region, in Doitschland, in Europa wider Erwarten hinkriegen sollten, dann warten da noch sieben bis acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten, die vielleicht nicht einsehen, dass die Weißen nun ihren Konsum-Spaß gehabt haben, dass jetzt aber tunlichst Schluss damit sein muss, und zwar für alle (außer für die Super-Reichen), unabhängig von der Frage, wieviel Konsum- und Umweltzerstörungs-Spaß man bis dato gehabt habe ...
Versetze ich mich in die Lage einer*s Tuvaluys, Chinesys oder Indys, dann würde ich vermutlich auch eher schmallippig reagieren, wenn alte, weiße Männer mir erläuterten, ich müsse jetzt den Ressourcen-Riemen enger schnallen, denn sie, die Weißen, hätten in den letzten Jahrzehnten alle Ressourcen verballert, als gäb's kein Morgen (= KEINE Metapher!) und nun sei die Kacke am Dampfen.
Nein, wir, als Menschheit werden's nicht packen, eine menschenwürdige Umwelt zu bewahren. Und da das so ist, kann ich als Individuum eigentlich jetzt gleich vom Spar- und Sorgfaltsmodus in den Endzeit-Jetzt-ist-sowieso-alles-egal-Modus umschalten. Mögen die Weltuntergangs-Saturnalien beginnen! Endlich darf ich mich wie die maximale Drecksau benehmen, als rücksichtsloses Arschloch in der Masse der rücksichtslosen Arschlöcherys³.
Klappt leider nicht, das mit No-future. Ich bin zu doof zum Resignieren.
Anders gesagt: Ich bin zu doof, mir ein Leben vorzustellen, in dem ich mich nicht strebend bemühe. Würde ich nur noch für meinen je kurzfristigen Lustgewinn leben, verlöre ich also die Ambition, meinen ethischen bzw, rationalen Idealen morgen näher zu sein als heute, würde ich mich ungesund fühlen, faulig, stinkig, kraftlos, schimmlig, einfach bäh. Ich würde erst geistig und dann auch ganz schnell körperlich verfallen, hundertmal schneller als ohnehin die Biologie diktiert.
Nein, je mehr ich drüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass ich mich zwar einerseits oft selbst für einen faulen, bequemen Sack halte, dass ich aber andererseits ziemlich gut darin bin, mir im Kognitiven, Emotionalen und Körperlichen eine gewisse Spannung und Aufrichtung zu erhalten. Das möchte ich keinesfalls missen.
Deshalb: Ich werde also auch in 2025 weiter mit mir und der Welt hadern, zuweilen grell im Strahl kotzen, vielleicht auch mal kleine Erfolge leise lächelnd zur Kenntnis nehmen.
Das ist der Kurs. Mal sehen, wo ich damit ankomme.
(verändert via wiki commons)
¹ Kants Denkfehler: Wenn Menschen kraft ihrer Vernunft das Richtige und Wahre erkennen würden, würden sie entsprechend handeln. Wie gut, dass er nicht sieht, was Klimawandel-Leugner, Faschos, Fundamentalisten, Querdenker und Konzerne usw. heute treiben.
² Natürlich kribbelt's mir in den Fingern, hier massenhaft konkrete Beispiele anzuführen, aber das wird in den künftigen Blog-Artikeln zur Genüge geschehen.
³ Interessante Frage übrigens: Kann und sollte man "Arschloch" gendern? Antwort: Spricht man vom Arschloch im anatomischen Sinne, also vom Anus, dann erübrigt sich das Gendern. Steht das "Arschloch" aber sinnbildlich für Menschen, die nichts als Scheiße absondern, dann sollte man berücksichtigen, dass es sowohl weiblich bzw. männlich sich verstehende als auch non-binäre, diversgeschlechtliche und Trans- Arschlöcher gibt. Und ja, ich gendere gerne mal nach Phettberg.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Vielen Dank für Ihren / Deinen Kommentar