Konnte jahrelang mit dem Begriff "Ehre" nichts anfangen. Fand es lächerlich, dass erwachsene Männer meinten, man könne "Ehre" verlieren und - z.B. durch ein tödliches Duell - wiedergewinnen. Geradezu gemeingefährlich wurde und wird es, wenn Potentaten der "Ehre" wegen ganze Nationen in Kriege gegeneinander hetzen.
Allmählich eröffnet mir aber die Erfahrung im Umgang mit Menschen durchaus auch positive Aspekte dieses an sich bekloppten, spätbarocken Konzeptes.
Zum Beispiel: Es gibt tatsächlich Menschen, die um des eigenen kurzfristigen Vorteils willen hanebüchenes Lügen als ganz selbstverständliche Verhaltensoption betrachten, wohl wissend, dass ihre Lügerei jeweils sehr zeitnah auffliegen wird. Zwar kann kein Mensch von sich behaupten, sie/er habe sich aus Not, aus Bequemlichkeit, aus Unsicherheit nicht schon mal jenseits dessen bewegt, was er/sie als "eigentlich wahr" betrachtet, aber davon ist hier nicht die Rede. Ich rede hier, mit großer Faszination und distanziertem Interesse übrigens, von einer Form der Lügerei, die so doof, so kurzgedacht und so offenbar ist, dass man sie gar nicht als hinterhältig oder fies oder unethisch bezeichnen kann, sondern bestenfalls als geistige Deformation.
Menschen mit derartiger Disposition fällt gar nicht auf, dass ihnen grundlegende Attribute der Zwischenmenschlichkeit, z.B. Vertrauen und Anerkennung, nicht zu-gedacht werden. [*1] So, wie andere Menschen vielleicht appe Arme oder Beine oder rausse Nieren oder Gebärmuttern oder dreifache Chromosomen 21 haben, haben diese Menschen eben keine "Ehre". Hilft ja nix, drumrumzureden.
Ich plädiere für die Wiederindienststellung des Wortes "Ehre" in einer nicht-bewertenden, rein diagnostischen Bedeutung.
(verändert via wiki commons)
Ehrenduelle sind natürlich nach wie vor Quatsch. Aber ich fühle mich durchaus besser, wenn ich das Gefühl haben darf, "Ehre" zu haben. Ich möchte gerne Vertrauen und Anerkennung meines Umfeldes haben. Und wer mir diese "Ehre" abspricht, muss sich zumindest auf ein Wortgefecht gefasst machen.[*1] Jaja, nun kommt wieder die schwere Kindheit ins Spiel. Wahrscheinlich ist ihnen als Kind auch schon Vertrauen und Anerkennung versagt gewesen und dann haben sie gedacht "Was soll's?" usw. usw. Aber was spricht eigentlich gegen einen Neuanfang? Determiniert eine beschissene Kindheit wirklich absolut zwingend, dass man völlig hirnverbrannte und schmerzhafte Verhaltensmuster ewig wiederholt? Sorry, mein Menschenbild ist flexibler.
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