Samstag, 19. September 2015

Pars pro toto


Ein Nachbar hat ein Haus. Das Haus hat einen Schornstein. Da olfaktorische Zitate und Beweismittel  als digitale Technologie zum Glück nicht zur Verfügung stehen, bitte ich einfach darum, mir zu glauben, dass dem Schornstein nicht nur aromatischer Rauch trockener Eichen- und Buchenscheite, sondern meistens die Emissionen verbrannter Luftmatratzen, heizungslackimprägnierter Holzmöbel und niedertemperaturkremierter nasser Vögel entsteigen. Bei bestimmten Wetterlagen ist die gesamte Nachbarschaft (Achtung: Wortspiel) stinke-sauer, bei stetem Wind nur die jeweils leeseitige.

Der in der Sache befragte Experte zur "Erreichung der Ziele der Bundesregierung im Bereich Klimaschutz", vulgo "Schornsteinfeger", zuckte bedauernd die Schultern, die Riesensauerei sei offensichtlich, ein justitiabler Nachweis aber technisch schwierig und ergo teuer und ergo politisch nicht wirklich erwünscht und leider, leider sei der Herr des Hauses ein verstockter, dümmlich-ewiggestriger alter Mann, der auf Ansprache das Vorhandenseins eines Problems aggressiv leugne.

Dieser Blog soll unter keinen Umständen dazu dienen, meinen privaten Kleinkram zu verhackstücken. Das wäre irrelevant und langweilig. Spannend hingegen, wie herrlich wir hier ein Miniatur-Modell des großen, ganzen, globalen Dummheits-Dramas studieren können.

Dramatis personae: 

- Der alte, dumme, egoistische Stinkstiefel
Eine gutsituierte Mittelstandsschranze. Stur und selbstbewusst, seine Meinung stimmt, denn er weiß Alles, was man wissen muss, und was er nicht weiß, muss man auch nicht wissen. Was er sagt, stimmt immer, denn wenn es nicht stimmen würde, würde er es nicht sagen. Die reine, kristallklare, ewige Wahrheit erfährt er also, indem er sich selbst zuhört. Er ist der Mittelpunkt des Universums, denn nur ER ist ER, alle Anderen sind nur ... die Anderen eben, so what? Das ist die ewige Logik des Egoismus'.

- Der unengagierte, hilflose Technokrat
Jaja, ich will fair sein: Ein Schornsteinfeger lebt von den Aufträgen seiner Kunden. Er wird NICHT dafür bezahlt, die Welt zu verbessern und den Dreckschweinen in den Arsch zu treten.

- Die wütende, hilflose Mehrheit, die unter der Dumpfheit einer Minorität leidet
selbsterklärend

Wichtigstes Requisit:

Der Schornstein
Wenn man länger drüber nachdenkt, ist der Schornstein der spannendste Aspekt unserer Modell-Geschichte. Ein Objekt, das den verhältnismäßig kleinen, kurzfristigen Vorteil eines Einzelnen (hier: muckelig warm in einem kleinen Haus) von den verhältnismäßig großflächigen Nachteilen für die Gesellschaft (hier: Gestank, Kontamination, Gesundheitsrisiken für die gesamte Nachbarschaft ringsumher) abscheidet. Der Schornstein stellt das Missverhältnis erst her, macht es überhaupt erst möglich. Müsste der alte Blödmann seinen Dreck selbst wegschnüffeln, wäre da aber ratzfatz eine hochreine, hochenergieeffiziente Heizung installiert. 

Was lernen wir aus der Geschichte? Lasst uns - im Kleinen, v.a. aber im Großen - nach metaphorischen Schornsteinen suchen! Wo finden wir Strukturen, die es rücksichtslosen egoistischen Arschlöchern erlauben, sich ständig kleine Vorteile auf unverhältnismäßig große Kosten der Allgemeinheit zu verschaffen?

Nur mal als erste Anregung: TTIP, "Bankenrettung", Fundamentalismus, globaler Rohstoffmarkt, Energiesektor, Investmentbanking, IWF, CSU, Turbo-Kapitalismus, Kohlekraftwerke, FC Bayern ...

Im Falle meiner kleinen persönlichen Betroffenheit werde ich wohl auf eine biologische Lösung warten müssen. Im Großen können wir uns das nicht leisten, denn da bedeutet "biologische Lösung", dass es uns als Spezies von der Platte putzt.


Pottsau at work




 

2 Kommentare:

  1. Und eine andere Ordnungsbehörde kann da nicht tätig werden? Irgendwie möchte ich doch noch daran glauben, in einem Rechtsstaat zu leben, wo eklatante Verstöße gegen Gesetze auch geahndet und abgestellt werden.

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  2. Du hast Recht: Eigentlich müsste insistieren. Aber das hieße, zunächst nachzuweisen, dass der Bezirksschornsteinfeger seinen Job nicht richtig macht, dann die entsprechende Behörde so lange zu nerven, bis die in Wallung kommen und dann ... und dann ... Es ist so anstrengend, den Hund zum Jagen zu tragen, der Energieaufwand so unverhältnismäßig und der Erfolg nicht sicher.

    Ich mag Ostfriesland sehr, aber die Bierärschigkeit der Leute in den hiesigen Behörden ist mir zuwider. Als Zugezogener habe ich kein Recht, das zu kritisieren, ich kann ja wieder wegziehen. Entschlösse ich mich, unter den Natives des Amazonas-Regenwaldes zu leben, würde ich ja auch nicht gegen das Häuptlingswesen aufbegehren und demokratische Strukturen und Menschenrechte einfordern.

    Si fueris Romae ...

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