Immer wieder fällt mir auf, wie wenig ich, der ich als Spross einer völlig nicht-akademischen Familie mich einst akademischem Leben und Denken mit Vorsicht und Respekt von Außen zu nähern hatte, auch heute noch davon verstehe.
Gerade las ich eine Biographie:
" ... XY , geboren 1971 in Reykjavík, studierte an der Universität von Island Philosophie, Filmregie an der New York Film Academy und Französisch und Kunst in Frankreich. Nach mehreren Kurzfilmen arbeitet er vornehmlich als Grafikdesigner und bildender Künstler mit zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen, zudem betreibt er den Tunglið Forlag (Mond Verlag).
2013 veröffentlichte er mit »Bréf frá Bútan« (Briefe aus Buthan) einen ersten eigenen Roman sowie anschließend eine Sammlung mit Kurzgeschichten, 2015 folgte der erste Gedichtband » ..." [*1]
Es ist, ich schwör's, ohne raffinierte Hintergedanken und wirklich nur rein informativ gefragt: Wie geht sowas?
Gut, XY wird eine schulische Laufbahn mit einer Hochschulzugangsberechtigung abgeschlossen haben, das ist schon mal was. Dass er sich für Philosophie interessiert, ehrt ihn, und ich bin sicher, dass ein Philosophie-Studium in Island etwas ganz Besonderes ist. Aber: Hat er da einen Abschluss gemacht? Davon steht da nichts, aber vielleicht gibt es ja mir unbekannterweise eine nicht-codifizierte akademische Sozialnorm, die besagt "Über so etwas Profanes wie einen Magister, ein Diplom, einen Bachelor etc. spricht man nicht, das hat man. Ist doch selbstverständlich!"
Oder lautet die nicht-codifizierte Norm vielleicht: "Liebe Güte, nur Spießer machen Abschlüsse! Willst Du mit einem so sakrosankten Thema wie [Studienfach einsetzen] etwa GELD verdienen!? Pfui über Dich! Wir studieren um der Sache willen, Du Spießer-Mittelstandskrampen-Beamtenkind-Loser!"
Das ist jetzt kein Witz, und ich kokettiere damit auch nicht. Ich weiß es wirklich nicht! Ich weiß nur, dass ich ein Lehramts-Studium gewählt habe, weil das ein Kompromiss war zwischen dem, was mich interessierte und dem Wunsch / der Notwendigkeit, mich damit irgendwie zu ernähren. Am Ende meiner Ausbildung [*2] war ich ziemlich pleite und sehr darauf angewiesen, Geld zu verdienen.
XY scheint am Ende seines Philosophie-Studiums nicht pleite gewesen zu sein. Ich meine: New York Film Academy? Muss man da nicht Studiengebühren bezahlen? Muss man dazu nicht nach New York fliegen? Dort eine Unterkunft finanzieren? Egal. Was wir nicht erfahren, ist, ob XY da einen Abschluss gemacht hat, oder ob er das Film-Studium irgendwann auch geschmissen hat.
Jedenfalls studiert er danach Französisch und Kunst in Frankreich. Klingt gut. Dann macht er Kurzfilme ...
Man verstehe mich nicht falsch: Ich bin weder neidisch noch bewerte ich XY. Ich bin einfach nur verunsichert: Die Vielzahl und die Verschiedenartigkeit der, sagen wir mal, Studien-Ansätze von XY scheinen für den Verlag ein positives Werbe-Argument zu sein. In meiner piefigen Provinz-Pauker-Lebenswelt würde man sagen, XY habe drei Studiengänge geschmissen, sich danach eine zeitlang durchgeschlagen, bevor er im Alter von 42 Jahren mit Literatur-Veröffentlichungen begann. Würde XY sich mit diesem Lebenslauf in einem normalen Unternehmen bewerben, wären seine Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch geladen zu werden, eher gering.
Nun bin ich überhaupt nicht der Auffassung, ein Leben müsse nach dem Diktat kapitalistischer Verwertungsinteressen organisiert sein. Ich find's schön, dass XY offenbar Kohle ohne Ende im Rücken hat, sich so ein Leben leisten zu können ...
Hm, an dieser Stelle verspüre ich vielleicht doch ein bisschen Neid: Der Mann war / ist so unglaublich reich, dass er es sich leisten kann, sich aus allen Zusammenhängen herauszuziehen, die Marx der "Reproduktion der Arbeitskraft" zurechnet.
Der Reichtum von Multimilliardären beeindruckt mich nicht. Der Reichtum von Leuten wie XY beeindruckt mich.
(verändert via wiki commons)
Hauptsache glücklich!
[*1] Quellenangabe lohnt nicht, weil der Text auf vielen Verlags-Seiten gecopy-pasted wurde. Was das Original ist, ist nicht feststellbar.
[*2] Auch so'n Spießer-Begriff! Ein Studium ist doch nicht mit einer Tischler-Lehre zu vergleichen. Man studiert, um sich selbst zu verwirklichen ... oder so ...
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