Samstag, 30. Mai 2020

Samsara is the place ...


Viel zynisches Amüsement ziehe ich aus meiner ständigen Selbstbeobachtung. Obwohl so etwas nicht möglich sein sollte, überrasche ich mich immer wieder, indem ich unvermutete, teils unschöne, meist völlig lächerliche Verhaltensweisen an mir entdecke. Als Irgendwie-übender-Buddhist (oder was auch immer) glaube ich natürlich an einen unveränderbaren, innersten Kern meines Wesens, und dieser Kern steht alltäglich ziemlich oft neben mir und lacht sich halbtot, wenn er meinen Samsara-Teil in action betrachtet ...

Neulich in meinem Lieblings-Buchladen: Ich entdecke, dass es mir sehr gefällt, namentlich begrüßt zu werden, wenn ich den Laden betrete. Natürlich erfreut mich die Freundlichkeit, die in der Stimme der Mitarbeiterin mitschwingt. Aber darüberhinaus wird eine Saite in mir zum Klingen gebracht wird, die auf die Mentalität eines eingebildeten Bildungs-Spießers verweist. Was für eine Bankrott-Erklärung! Was für eine arme Wurst, die aus so einem Mikro-Privileg Saft für sein offenbar nicht gerade selbst-stabiles Ego saugen muss...





(verändert via wiki commons)



Samsara was the state I lived in
The city walls forestalled a break-in
The brochure told folks they were safe here
A destination with no check-in
The women there were tantalising
Shame shaped their minds through advertising
The clothes we chose for lies to live in
We had no guide but television
Samsara was the state that I lived in
A destination with no check-in. Samsara
Samsara was the state I lived in
Just like L.A. with no religion
Some teacher told me I was gifted
Her number wasn't even listed
I wasn't sure if she existed
Samsara was the state that I lived in
A destination with no check-in. Samsara
Now far from home this body's shaking
With fantasies I fed to blind me
The open door is now behind me
One day I woke and it was missing

Rupert Hine: Samsara








Sonntag, 17. Mai 2020

Unsicher


Immer wieder fällt mir auf, wie wenig ich, der ich als Spross einer völlig nicht-akademischen Familie mich einst akademischem Leben und Denken mit Vorsicht und Respekt von Außen zu nähern hatte, auch heute noch davon verstehe.

Gerade las ich eine Biographie:

" ... XY , geboren 1971 in Reykjavík, studierte an der Universität von Island Philosophie, Filmregie an der New York Film Academy und Französisch und Kunst in Frankreich. Nach mehreren Kurzfilmen arbeitet er vornehmlich als Grafikdesigner und bildender Künstler mit zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen, zudem betreibt er den Tunglið Forlag (Mond Verlag).

2013 veröffentlichte er mit »Bréf frá Bútan« (Briefe aus Buthan) einen ersten eigenen Roman sowie anschließend eine Sammlung mit Kurzgeschichten, 2015 folgte der erste Gedichtband » ..."
[*1]

Es ist, ich schwör's, ohne raffinierte Hintergedanken und wirklich nur rein informativ gefragt: Wie geht sowas?

Gut, XY wird eine schulische Laufbahn mit einer Hochschulzugangsberechtigung abgeschlossen haben, das ist schon mal was. Dass er sich für Philosophie interessiert, ehrt ihn, und ich bin sicher, dass ein Philosophie-Studium in Island etwas ganz Besonderes ist. Aber: Hat er da einen Abschluss gemacht? Davon steht da nichts, aber vielleicht gibt es ja mir unbekannterweise eine nicht-codifizierte akademische Sozialnorm, die besagt "Über so etwas Profanes wie einen Magister, ein Diplom, einen Bachelor etc. spricht man nicht, das hat man. Ist doch selbstverständlich!"

Oder lautet die nicht-codifizierte Norm vielleicht: "Liebe Güte, nur Spießer machen Abschlüsse! Willst Du mit einem so sakrosankten Thema wie [Studienfach einsetzen] etwa GELD verdienen!? Pfui über Dich! Wir studieren um der Sache willen, Du Spießer-Mittelstandskrampen-Beamtenkind-Loser!"

Das ist jetzt kein Witz, und ich kokettiere damit auch nicht. Ich weiß es wirklich nicht! Ich weiß nur, dass ich ein Lehramts-Studium gewählt habe, weil das ein Kompromiss war zwischen dem, was mich interessierte und dem Wunsch / der Notwendigkeit, mich damit irgendwie zu ernähren. Am Ende meiner Ausbildung [*2] war ich ziemlich pleite und sehr darauf angewiesen, Geld zu verdienen. 

XY scheint am Ende seines Philosophie-Studiums nicht pleite gewesen zu sein. Ich meine: New York Film Academy? Muss man da nicht Studiengebühren bezahlen? Muss man dazu nicht nach New York fliegen? Dort eine Unterkunft finanzieren? Egal. Was wir nicht erfahren, ist, ob XY da einen Abschluss gemacht hat, oder ob er das Film-Studium irgendwann auch geschmissen hat. 

Jedenfalls studiert er danach Französisch und Kunst in Frankreich. Klingt gut. Dann macht er Kurzfilme ...

Man verstehe mich nicht falsch: Ich bin weder neidisch noch bewerte ich XY. Ich bin einfach nur verunsichert: Die Vielzahl und die Verschiedenartigkeit der, sagen wir mal, Studien-Ansätze von XY scheinen für den Verlag ein positives Werbe-Argument zu sein. In meiner piefigen Provinz-Pauker-Lebenswelt würde man sagen, XY habe drei Studiengänge geschmissen, sich danach eine zeitlang durchgeschlagen, bevor er im Alter von 42 Jahren mit Literatur-Veröffentlichungen begann. Würde XY sich mit diesem Lebenslauf in einem normalen Unternehmen bewerben, wären seine Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch geladen zu werden, eher gering.

Nun bin ich überhaupt nicht der Auffassung, ein Leben müsse nach dem Diktat kapitalistischer Verwertungsinteressen organisiert sein. Ich find's schön, dass XY offenbar Kohle ohne Ende im Rücken hat, sich so ein Leben leisten zu können ...

Hm, an dieser Stelle verspüre ich vielleicht doch ein bisschen Neid: Der Mann war / ist so unglaublich reich, dass er es sich leisten kann, sich aus allen Zusammenhängen herauszuziehen, die Marx der "Reproduktion der Arbeitskraft" zurechnet. 

Der Reichtum von Multimilliardären beeindruckt mich nicht. Der Reichtum von Leuten wie XY beeindruckt mich.






(verändert via wiki commons)

Hauptsache glücklich!

  








[*1] Quellenangabe lohnt nicht, weil der Text auf vielen Verlags-Seiten gecopy-pasted wurde. Was das Original ist, ist nicht feststellbar. 

[*2] Auch so'n Spießer-Begriff! Ein Studium ist doch nicht mit einer Tischler-Lehre zu vergleichen. Man studiert, um sich selbst zu verwirklichen ... oder so ...




Samstag, 9. Mai 2020

Mixtur


Gestern versehentlich in eine Doku zum Tag der Befreiung vor 75 Jahren reingezappt. Eine Zeitzeugin berichtet über den Hungerwinter 1945/46 und endet ihren Bericht mit der Bemerkung, die Jugend von heute hätte unter diesen Bedingungen nicht bestehen können.

Ich wusste nicht, dass so etwas Dümmlich-Arrogantes heute immer noch öffentlich gesagt wird, außer in ironisierenden Zusammenhängen. Stellen wir also klar: Die Jugend von 45/46 ist mit ihren Aufgaben und in die Bedingungen hinein gewachsen, und dazu ist Jugend seit jeher grundsätzlich ziemlich gut im Stande, auch die von 2020. Welche Bedingungen das jeweils sind, haben die Jugendlichen (noch) nicht zu verantworten, die Schuldigen sollten anderswo gesucht und gefunden werden. 


(Bundesarchiv via wiki commons)



War sonst noch was?

Ach ja: Lustflug auf meiner Lieblingsrennstrecke. Wenn da irgendwas Besonderes zu sehen ist, zieht's den Low-and-slow-Flieger an, wie ein Kuhfladen die Mistfliegen.

(gestern, die Weser zwischen Elsfleth und Brake)

Geplant war eigentlich eine ganz andere Strecke, aber ich hatte keine Lust, in die Dunstschicht und auf die niedrigstehende Sonne zuzufliegen. Da sieht man nicht so viel von der Landschaft.




Ein gutes Gefühl, einen Plan über'n Haufen zu schmeißen, um das zu tun, was man will.











Freitag, 1. Mai 2020

Gezeitenwechsel


Corona ist immer noch die Krise in Zeitlupe und deshalb ein unwiderstehliches Studienobjekt menschlichen Verhaltens.

Deutlich ist die erste Phase vorbei, in der wir ALLE Schiss hatten und in der wir in großer Solidarität und Einigkeit zueinander das Miteinander fanden. In dieser Phase riefen ja sogar die Macht-Habenden zu Solidarität und Vernunft auf, was wir als äußerst angenehme Ausnahmesituation empfanden, da der Kapitalismus diese Eigenschaften auf der untersten Stufe der Profitkette, dem Konsumenten, gewöhnlich nicht goutiert.

Wir sind jetzt in Phase zwei, das machen unsere Plittikörr, allen voran Laschet, ganz deutlich:

  1. Die Parole, dass die Gesundheit der Menschen vor den Profitinteressen der Wirtschaft zu rangieren habe, gilt nicht mehr.
  2. Indem Laschet - wie übrigens Trump auch - die Wut der Menschen auf das "social distancing" medienwirksam anheizt, instrumentalisiert er sie, treibt er die Solidarität der Gesunden und Kranken, der Gefährdeten und Weniger-Gefährdeten auseinander.
  3. Die Forschenden, die sich mit der Pandemie wissenschaftlich befassen, werden der Reihe nach persönlich diskreditiert. Was einst wichtige Leitlinie der Corona-Politik war, logische, schlüssige vernunftbasierte Ergebnisse naturwissenschaftlicher Erkenntnismethode, wird mit populistischen Anwürfen ("Die ändern ja ihre Meinung!") in den Dreck gezogen.  
  4. Das ausschließlich profitorientierte Wollen der Lobbyverbände beeinflusst politische Entscheidungen wieder mehr, als der medizinische Sachverstand. 


Die Konzerne und ihre Marionetten in den politischen Ämtern ätzen verstärkt gegen die Epidemiologen, sie mögen doch mal kundtun, wie lange die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie noch aufrechterhalten werden sollen. Fragen wir doch einfach mal umgekehrt die Konzerne, wievielen Menschen zusätzlich (!) wegen Covid 19 allmählich die Lungen voll Flüssigkeit laufen sollen, wieviele Menschen also elend ersticken sollen, und zwar über Tage hinweg, damit der größte Horror des Kapitals, die Abwesenheit von Profit (Marx) nicht eintritt.

Ich habe so gar keine Lust, mitansehen zu müssen, wie "Alles wie früher, nur ein bisschen schlechter" (Schweijk) wird.






(verändert via I-net)

Das ist auch so eine Sache: Die Medien betrügen uns mit so hübsch aufbereiteten Modellen. Macht Euch bitte mal klar, was eine Covid-19-Infektion bedeuten kann: Deine Lungen füllen sich sehr langsam mit Flüssigkeit. Das Atmen fällt Dir zunehmend schwerer, Dein gesamter Körper japst nach Sauerstoff, den aber irgendwann nicht mal die Beatmungsgeräte mehr in hinreichender Menge zur Verfügung stellen können. Wenn Du Glück hast, medizinisch gut versorgt zu werden, wirst Du mit Tranquilizern ruhiggestellt, damit Panik und Schmerzen Dich nicht wahnsinnig machen. Am Ende, nach Tagen oder Wochen, bist Du nur noch ruhiggestellt, stirbst nach langen Tagen des Leidens, indem Du bewusstlos rüberdämmerst.

Klingt brutal, aber das ist es, worüber wir reden. Das ist das Leid, über das Plittikörr aktuell entscheiden, wieviel wir des Kommerzes wegen davon vermehrt akzeptieren sollen.