Mittwoch, 12. Juni 2019

Schade: Rammstein entzaubert



Wäre übertrieben, mich als Fan von Rammstein zu bezeichnen. Früher haben sie ein paar Sachen gemacht, die mich beeindruckten: "Amerika" zum Beispiel. Oder die "Engel"-Inszenierung im Madison Square Garden. Oder "Keine Lust", welches zu pfeifen, zu grunzen und zu murmeln manches Mal meinen Berufsalltag sowohl kommentiert als auch erleichtert hat.

Daneben waren aber auch Texte wie "Benzin", bei dem ich den üblen Gedanken nicht los wurde, dass, wenn ein entsprechend vorgeschädigt-bemackter Spätpubertierender den auch nur ansatzweise in den falschen Hals kriegte, ein Inferno die Folge sein könnte.

Jetzt lese ich, sie hätten nach Jahren der Abstinenz wieder ein Album rausgebracht, das im Hinblick auf das provokante Spiel mit Nazi-Symbolen nicht ganz hasenrein sei. Wenn man aber sehr genau hinschaue, stelle man fest, Rammstein sei gar nicht rechtsextrem, und vor ein paar Jahren habe es auch einmal eine Zeile gegeben, die eventuell sogar auf linkes Gedankengut schließen lassen könnte. Und auch aus dem Ausland lauten Kommentare eher in die Richtung, haha, so sei Rammstein eben, immer provokant, hart an der Grenze entlang. So machten die halt Werbung für sich, diese ausgebufften Bengels.

Ja, ja, nein, mag alles sein, und ich glaube eigentlich auch nicht, dass die Jungs rechtsextrem sind, jedenfalls habe ich zwei Bücher von Flake, Rammsteins Mann an der Tastatur, gelesen [*1], und da war nix in der Richtung.

Aber dieses Spiel mit dem Un-Eindeutigen ist trotzdem völlig inakzeptabel.

Begründung 1: Es ist eine hohe und seltene Kunst, mit dem Uneindeutigen so zu spielen, dass am Ende dabei eine pointiert gesellschaftskritische Provokation herauskommt. Bedingung dafür ist aber ein Publikum, das dieses Spiel auf hohem intellektuellen Niveau mitgehen kann. Rammstein hat aber ein internationales Massenpublikum, das überwiegend nicht-deutscher Muttersprache ist und folglich Probleme bei der Umsetzung feinstofflicher Nuancierungen haben dürfte.

Begründung 2: Rammstein konzertiert in einer Welt, in der Rechtspopulisten und Rechtsextreme außerordentlich erfolgreich darin sind, mit bis zur Schwachsinnigkeit vereinfachten Welterklärungsmodellen auf Menschenfang zu gehen. Die Nazis fragen nicht lange, wie Rammstein dieses oder jenes wohl gemeint haben könnte, die Nazis vereinnahmen einfach für ihre Zwecke. Dass Rammstein sich dieser Gefahr aussetzt, ist entweder ein Zeichen grober Fahrlässigkeit oder gewaltiger Dummheit bzw. politischer Blindheit und Verantwortungslosigkeit.

Begründung 3: Meine übelste Befürchtung ist, dass Rammstein mit der Nazi-Symbolik eine brutal-effektive Marketing-Masche fährt. Analog zu irgendwelchen minderbemittelten Rappern, die mit Pseudo-Gangsta-Gewalt, Homophobie und Frauenfeindlichkeit ihre tägliche Fuhre medialer Aufmerksamkeit einholen, entdeckt Rammstein die Nazi-Verherrlichung für sich. Das ist ja auch etwas, worauf die gut zahlenden Amis total abfahren, und wenn die Nazi-Scheiße dann auch noch von real Germans gemacht wird, ist das doch total authentisch!

Zum letzten Argument stellt sich ergänzend die Frage, warum bei Rammstein eine klare politische Zuordnung der Inhalte eigentlich in keine Richtung möglich ist.

Sollte es tatsächlich das Erfolgsgeheimnis der Gruppe sein, dass das ganze Wumm-tata-Rock-Gedröhne im Kern völlig beliebig interpretierbar ist? Dass sich jede/r Linke/Rechte, jeder Spießer, jeder Ami, jeder Chinese, jeder Alt-68er und jeder Achtklässler ihr/sein Rammstein-Credo zusammenbasteln kann?

Kann es sein, dass die Jungs so hohl, so grenzenlos trivial sind?

Bevor ich diesen ungeheuerlichen Verdacht nicht entkräftet habe, werde ich keinen Spaß mehr an "Amerika" haben. Verdammter Mist!




(verändert via wiki commons - Weird Tales, Deckblatt Juni 1936)

Trivial ist's, wenn es aus kommerziellen, 
nicht gesellschaftskritischen Motiven gemacht wird.









[*1] ... dessen eines übrigens bei Amazon in einer Reihe mit Kinderbüchern angezeigt wird, was unfassbar unangemessen ist.








Montag, 10. Juni 2019

Altersmilde mit mir selbst


Es hat ziemlich lange gedauert, über 50 Jahre, bis ich mit mir wenigstens halbwegs einverstanden war. Zwei Krebserkrankungen, eine dann doch glimpflich verlaufene bei mir und eine tödliche bei meiner Frau, waren dabei sehr hilfreich. Bessere Maßstäbe menschlicher Werte als während der Jonglage an derlei absoluten Grenzbedingungen findest Du kaum.

Aber auch nachdem ich beschlossen hatte, mit mir einverstanden sein zu dürfen, fand ich den Typen, der ich davor war, herzlich zum Kotzen, na, sagen wir: zum Schämen. Zu vorwitzig weil eigentlich unsicher, zu arrogant weil eigentlich unwissend, zu provozierend weil eigentlich Weichei, zu ich-bezogen weil eigentlich Nullnummer  ...

Nun erwische ich mich dabei, mich auch mit den peinlichen Stadien meiner Entwicklung auszusöhnen. Der Knallkopp, der ich früher war, ist auch nicht allmorgendlich mit dem Vorsatz aufgestanden, auch diesen Tag wieder als Knallkopp zu verbringen und den Mitmenschen damit auf die Nerven zu gehen. Ich habe im Gegenteil immer unfassbar viel Energie damit vergeudet, das zu sein, wovon ich annahm, dass Andere es als "lieb & nett" oder "voll ok" oder zumindest als "nicht völlig daneben" betrachten würden.

Und gerade dann, wenn ich mich am stärksten bemüht habe, den Leuten zu gefallen, bin ich ihnen am meisten auf die Nerven gegangen.

Aber: Das konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht wissen. Ich war doof, und ich lebte nicht gerade in einem Milieu, in dem derlei taoistisch-philosophisches Gedankengut [*1] Alltagsgeschäft war. Ich erwarb meine Erkenntnisse auf die harte Tour [*2]. Zweites Aber: Ich habe mich stets bemüht (in bester faustischer Tradition) und mich auch durch die immerwiederkehrende Erkenntnis, nach wie vor ein Knallkopp zu sein, nicht entmutigen lassen. Das rechne ich dem damaligen Ich ganz hoch an.

Und wo wir gerade dabei sind: Ich bin natürlich in vielerlei Hinsicht immer noch ein Knallkopp und mit Sicherheit werde ich mich auch in zukünftigen Rückblicken über ganz viele Dinge schämen, die ich aktuell verzapfe. Aber mittlerweile kann ich das (inklusive der fälligen Scham) akzeptieren, denn ich bin immer noch Suchender, Strebender, Unfertiger, Unsicherer. Und ja: Wenn ich je damit aufhören sollte, das zu sein, dann soll auch mich der Teufel holen.

Aber es ist ok, so, wie es jetzt ist.





(Verändert via wiki commons: Hans Stubenrauch, Faust-Illustrationen)




[*1] Z.B.: "Hör' auf, Dich krampfhaft zu bemühen, damit machst Du alles kaputt." "Mach' Dir kein Bild von Dir selbst." "Ängste und Hoffnungen sind gefährliche Kategorien." etc. etc. etc. 

[*2] Oh Scheiße: Opa erzählt vom Krieg!!!










... and the world's your oyster



(oldenbora 2019, sehr stark verändert via citybeat)

(gestern 600 ft über oldenbora 2019, Nethen)

Besser drüber als mittendrin. Seltsam: Manchmal fallen mir in bestimmten Situationen uralte Texte ein. 

(...)

Siam's gonna be the witness
To the ultimate test of cerebral fitness
This grips me more than would a muddy old river
Or reclining Buddha

Thank God I'm only watching the game, controlling it

I don't see you guys rating
The kind of mate I'm contemplating
I'd let you watch, I would invite you
But the queens we use would not excite you

So, you better go back to your bars, your temples
Your massage parlors

One night in Bangkok and the world's your oyster
The bars are temples but their pearls ain't free
You'll find a god in every golden cloister
A little flesh, a little history

I can feel an angel sliding up to me
(...)
Night in Bangkok; Tim Rice/Murray Head










Sonntag, 2. Juni 2019

Fast (!!!) verzweifelt


Die Amis arbeiten aktiv am Zerfall Europas, indem sie ganz offen und offensiv die Rechtspopulisten und die Brexiteers unterstützen, die Europäische Union in Frage stellen und Wahlen manipulieren.

Die Russen arbeiten aktiv am Zerfall Europas, indem sie Demokratie im Allgemeinen und die Europäische Union im Besonderen in Frage stellen, die Rechtspopulisten unterstützen und Wahlen manipulieren.

Die Chinesen kümmern sich einen Scheißdreck um Demokratie und Europäische Union und kaufen den Laden häppchenweise auf.

Sollte es uns nicht nachdenklich und sehr, sehr besorgt machen, dass drei Großmächte dieses Planeten emsig an unserem Niedergang arbeiten? Wäre es für uns Demokraten und Europäer nicht langsam an der Zeit, den erbärmlichen, widerwärtigen und albernen Zickenkrieg um nationale Egoismen einzustellen?

Die Ignoranz und Dummheit lassen mich fast (!!!) verzweifeln ...





(verändert via wiki commons: Jan Matejko; Der Hofnarr, 1862)












Samstag, 1. Juni 2019

Ade, Du schöner Wald!


Wollte gerade nach zweiwöchiger Pause meine Lieblings-Jogging- bzw. Nordic-Walking-Strecke laufen. Stellte fest, dass die schönen, wohligen Sandwege zwischenzeitlich geschottert worden sind.


Damit ist die Strecke, ist der ganze Wald für mich erledigt, denn für Barfußläufer ist grober Schotter  der denkbar abstoßendste Untergrund.

Es bleibt Frage, warum dieser Weg geschottert werden musste und also kein Sandweg bleiben konnte. Pflanzen und Tiere haben wahrscheinlich keine entsprechende Forderung erhoben, denn so eine Schotterpiste ist ökologisch so wertvoll wie ... mmh ... eine Schotterpiste. Erholungssuchende Spaziergänger*innen suchen im Wald auch eher Wald und nicht den Liebreiz geschredderter Grauwacke. Selbst das Kinderwagen-Argument zieht nicht, denn dazu ist der Belag viel zu holperig und widerständig.

Kürzen wir die Suche ab, weil die Lösung ja ohnehin Jedem/r dämmert: Da sollen Ernter drüberrollen. Punkt. Es geht um Profit, nichts Anderes. Das ist kein Wald, sondern eine Plantage. Natur und das ganze romantisierende Trallala ist hier völlig latte. Von nachhaltiger Forstwirtschaft haben die Verantwortlichen schon gehört, aber sie sind viel zu dumm, zu raffgierig und viel zu sehr auf den kurzfristigen Gewinn aus, um sich darauf einzulassen.

Was lernen wir wieder einmal? Ein Wirtschaftssystem, das auf dem Prinzip der Profitmaximierung beruht, führt zu falschen Entscheidungen. Milliarden alltäglicher, dümmlichen Einzel-Egoismen generieren keine Schwarm-Intelligenz, sondern agglomerieren zum Untergang einer für Homo sapiens lebenswerten Umwelt.

Ja, das ist so abgedroschen, so offensichtlich und banal, ich komme mir total albern vor, das immer wieder runterzubeten. Aber wenn das so banal ist, dann müsste es doch jeder Depp verstehen. Warum ändert sich dann nichts?








Donnerstag, 23. Mai 2019

Zu leicht befunden




Jetzt hat sie es auch gemacht: Die Vor`zende des Philologen-Verbandes, die ubiquitäre Lin-Klitzing, konnte sich schließlich auch nicht mehr entblöden, gesamtgesellschaftliche Missstände, denen die Macht-Habenden rat- und planlos gegenüberstehen, einfach mal auf die Institution Schule zu projizieren:

Keine Sau begreift die Relevanz des Grundgesetzes? Das muss an der Schule liegen! Und damit wir das Übel an der Wurzel packen, suchen wir die Brutstätten der Multiplikatoren auf, die Lehrerausbildungen. Ha, wenn wir den Junglehrer*innen erstmal die Flötentöne beigebracht haben, dann werden die das an die Schüler*innen weitergeben und dann ist das Problem - schwuppsi - gelöst.

So funktioniert Unterricht nämlich: Ein Plittikörr denkt sich irgendwas aus, egal was, dann sagt der das den Bildungsfuzzies, die sagen das den Schüler*innen, und dann weiß das heute Deutschland und morgen die ganze Welt. Das funktioniert auch gegen Nazis, Rassismus, Intoleranz, Inflation, Internet, Krätze, Klima und Kartoffelkäfer...

Merke: Wenn irgendwas schief läuft, kann es nur an unfähigen Lehrer*innen liegen. Also muss da mal kräftig nachgeschult werden. Wenn irgendwas gut läuft, liegt es natürlich an den Plittikörrn und die müssen folglich wiedergewählt werden. So einfach kann das Leben sein!

Ich bin auch Mitglied des Philologen-Verbandes - aber derzeit finde ich das wieder mal außerordentlich bedauerlich und beschämend. Ja, ich weiß, welche Frage sich daraus ergibt.




Kurt von Hammerstein-Equord.jpg

(Hammerstein-Equord - verändert via wiki commons)

Unbedingt lesenswert: Enzensberg: Hammerstein oder Der Eigensinn






Sonntag, 19. Mai 2019

Grün und blau





Into the great wide open
Under them skies of blue
Out in the great wide open
A rebel without a clue

Tom Petty




Gestern, irgendwo Wesermarsch, ca. 200 m, Blick NNO

Als das mikroleichte Trike auf den Markt kam, meinten Einige, es sei dies ja nicht mehr als ein Gartenstuhl am Himmel. Und ich sage: "Ja, wunderschön, nicht wahr!?"









Mittwoch, 15. Mai 2019

Lebensweisheit No. 27

Erleidest Du je so einen Anfall,
an das Gute im Menschen zu glauben,
an seine Fähigkeit zu Vernunft, Einsicht,
Mitgefühl und Solidarität,
dann setze Dich
an einem normalen Werktag
auf den halbgefüllten Großparkplatz
eines Baumarktes / Supermarktes o.ä.
und beobachte
ihre Strategien bei der Parkplatzsuche.




(stark verändert via wiki commons)







Sonntag, 12. Mai 2019

Re - Flexion


Zu viel Berufliches lenkt mich derzeit ab. Für darüber hinausgehende Themen mich so zu entzünden, dass Schreib-Wut entsteht, will mir momentan nicht gelingen. Positiver Effekt: Temporäre Schreibblockaden schaffen notwendige Distanz zur Reflexion.

Was mache ich hier eigentlich?

Mitunter befallen mich Minderwertigkeitskomplexe. Wenn ich, wie aktuell, Monographien wie Fukuyamas "Identität" und Sierens "Zukunft? China" oder die wohlrecherchierten Artikel der "Monde diplomatique" [1] lese und anschließend meinen Blog und mein kümmerliches Selbstgestricktes zur Welterklärung betrachte, bin ich zutiefst beschämt, da ich doch erkenne, dass Andere viel  kompetenter, viel gehaltvoller und mit viel größerer Reichweite zu viel tiefschürfenderen Gedanken in der Lage sind.

Ich muss mich dann erstmal ganz bewusst zur Ordnung rufen: Blogs wie dieser stehen nicht im Wettbewerb mit professionellen Veröffentlichungen und deren Verfasser*innen.

Was ich verzweifelt und bislang vergeblich versuche, ist, die Dinge dieser Welt für mich persönlich irgendwie zu einem einheitlichen Bild zusammenzufügen. Und der selbstgesetzte Zwang zur Veröffentlichung dient als notwendiges Korrektiv und zur Selbst-Disziplinierung. "Nur ein blogbarer Gedanke ist ein guter Gedanke ..."

Ich bin in keinem Fachgebiet Experte genug, um mit professionellen Veröffentlichungen andere Menschen bereichern zu wollen oder zu können. Und das großkotzige Ansinnen, "Influencer" sein zu wollen, geht mir völlig ab. [2]





(stark verändert via wiki commons "Influencer")






[1] Krass, oder? Mit so einer Leseliste kann man natürlich erstklassige Image-Pflege betreiben. Aber es stimmt wirklich. Ich lese so einen Quatsch und finde ihn interessant. Soll ich lügen?

[2] Wie groß das Influence-Potential dieses Blogs ist, weiß ich nicht. Durch die Statistik-Funktionen dieser Blog-Software blicke ich entweder nicht richtig durch oder sie liefern tatsächlich inkohärente Zahlen. Im Schnitt scheinen aktuell pro Tag 30 unterschiedliche Leute den Blog zu lesen, pro Monat 1.500. Da ein Monat etwa 30 Tage hat und 30 mal 30 nicht 1.500 ergibt, ist die vorangegangene Aussage völliger Schwachsinn. Das meine ich mit "inkohärent".
Für einen werbefreien, unbeworbenen, unkommerziellen, völlig textlastigen Blog mit viel zu wenig Bildern, viel zu langen, hypotaktischen Sätzen und viel zu wenig Sex-Themen [3] ist der Wert völlig ok ...

[3] Upps! Hatte ich da gerade eine Idee für eine künftige inhaltliche Neuausrichtung?










Freitag, 3. Mai 2019

Kraft durch Dummheit



Ich habe durch die Bank nur nette Nachbarn, das meine ich ganz unironisch. Und damit ich nicht verlerne, das zu wertschätzen, ist's gut, dass es eine Ausnahme gibt. Der Typ Spießer, der gleichermaßen völlig unintelligent und dabei grenzenlos selbstbewusst ist und dessen Meinung natürlich per Zirkelschluss immer nur die reine Wahrheit sein kann, denn wäre sie's nicht, wär's ja nicht seine Meinung, und diese Meinung holt er sich rund um die Uhr von einer Mattscheibe, deren Flächeninhalt einer kleinen Studentenwohnung Genüge täte.

Besagter Nachbar begrüßt mich seit Jahren, wenn er mich mittags aus der Schule nach Hause kommen sieht, regelmäßig mit einem gebrüllten "Na! Schon wieder Feierabend??!!" Anfangs hatte ich stichwortartig zurückgebrüllt, dass Lehrers Arbeit mitnichten mit dem Unterricht ende etc. etc, als wäre mit klugem Argument seiner zementierten Blödmann-Meinung beizukommen. Später habe ich nur noch halbfreundlich abgewunken, was er wahrscheinlich als Unterwerfungsgeste und / oder Schuldanerkenntnis verbuchte. Dann fand ich Spaß daran, den Neid hinter seiner Frage zu befeuern: "Ja, für heute reicht's auch" oder "Ja, muss noch Rasen mähen ..."

Gestern, Donnerstag (!!!), gab's spontan eine weitere hübsche Eskalation:

Er: "Na! Schon wieder Feierabend??!!"
Ich: "Ja, aber echt blöd: Montag muss ich wieder hin!"

Ich würde mir eher die Zunge abbeißen, bevor ich der geistigen Napfschnecke erläutere, dass gerade das Abi läuft, dass ich nur "frei" habe, weil die Schüler*innen des Abi-Jahrgangs zu Hause sind und büffeln und dass ich auch noch in den nächsten Wochen neben dem sonstigen Unterricht rund um die Uhr, auch an Wochenenden und Feiertagen korrigieren und Gutachten schreiben werde, sofern ich nicht schlafe, stoffwechsle oder absolute Minima an sozialen Erwartenserwartungen befriedige. Das ist für Lehrer*innen immer die beschissenste Zeit des Jahres, aber Napfschneckes Gesichtsausdruck gestern, das entschädigt für ganz viel und gibt mir Kraft für die nächsten Tage.




(Die Gemeine Napfschnecke - verändert via wiki commons)