Samstag, 30. Oktober 2021

Mehr Kreativität gefordert!

BÄMM! Nehmt dies, ihr miesepetrigen, spießigen, fachidiotischen Langweiler-Lehrer*innen, die ihr eure Schüler*innen gerade in den Kernfächern zu "zweitklassigen Robotern" abrichtet! Jetzt hat Euch der OECD-Bildungsdirektor aber mal so richtig die Wahrheit um die Ohren gehauen, links und rechts und links und rechts und immer wieder! Kre-a-ti-ver sollt Ihr sein, ihr popligen PISA-Loser! Kreativer, bunter, interdisziplinärer, toleranter muss euer Unterricht werden, eine internationale Studie hat's bewiesen!

Nun denn!

Ich will hier nicht wiederholen, dass die OECD ein internationaler Zusammenschluss selbsternannter und andernfalls arbeitsloser Pseudo-Expert*innen ist, der keinen Auftrag hat, außer, im eigenen oder gutbezahlten Fremdinteresse Meinungen rauszuhauen.

Stattdessen möchte ich den Blick auf die zugrundeliegende Studie lenken, eine *.pdf-Datei, die man für 40,00 $, wahlweise aber auch gratis von der OECD-Seite herunterladen kann. Die darin geschilderte Forschungsmethode ist interessant: 3.000 Schüler*innen, Lehrer*innen, Eltern und Schulleiter*innen aus 10 Städten weltweit haben Fragebögen ausgefüllt. Zitat S. 41 ff: 

  • "For each sampled student, parents or legal guardians were asked to participate in the survey by filling out a contextual questionnaire and reporting on their children’s social and emotional skills." 

Ein Glück, dass Eltern bzw. und Betreuer*innen weltweit eine identische Definition von "children’s social and emotional skills" haben. Sonst wäre das ja gar nicht vergleichbar. 

  • "For each sampled student, the teacher that knows the student best or with whom the student has spent the most time was selected. These teachers were asked to fill out the teacher contextual questionnaire as well as to report on the social and emotional skills for each of the assigned students."

Auch hier bin ich heilfroh, dass diese Dinge weltweit absolut vergleichbar sind. Nicht auszudenken, welche Konsequenzen es hätte, wenn ein Lehrer in Istanbul, wo die Prügelstrafe noch angewendet wird, für social and emotional skills for each of the assigned students andere Maßstäbe anlegte, als ein*e deutsche*r Lehrer*in. Ach nee, deutsche Schulen sind ja gar nicht dabei.

  • "For each sampled school, school principals were asked to fill out the contextual questionnaire for school principals."

Finde ich wichtig. Ganz wichtig finde ich das. So ein Schulleiter redet immer gerne ganz offen über Drogenprobleme an seiner Schule, über Mobbing, Missbrauch, finanzielle und personelle Kürzungen usw. Gerade bei schriftlichen Interviews in internationalen Studien, PISA ist ja auch eine OECD-Erfindung, outen die Schulleiter*innen sich ganz als kritische, ehrliche Seelen.

"Participating cities

The following 10 cities from 9 countries participated in the first round of the survey:

• Bogotá, Colombia

• Daegu, South Korea

• Helsinki, Finland

• Houston, Texas, United States

• Istanbul, Turkey

• Manizales, Colombia

• Moscow, Russian Federation

• Ottawa, Ontario, Canada

• Sintra, Portugal

• Suzhou, People’s Republic of China"

Ende der Liste und des Zitats. Zehn Schulen, zwei davon in Kolumbien, dann Süd-Korea, Türkei, Texas, Moskau, Canada und die Volksrepublik China. Wenn überhaupt, dann wären die Schulsysteme von Finland und Portugal irgendwie (!!!) mit unserem vergleichbar. 

Dann: 3.000 Probant*innen, Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen, lassen wir die zehn Schulleiter*innen mal unberücksichtigt. Wenn ich pro Schüler*in jeweils auch die Eltern und Lehrer*innen befrage, spreche ich also insgesamt über 1.000 Fälle. An zehn Schulen. Also 100 Fälle pro Schule. An meiner Schule gibt es roundabout 1.300 Schüler*innen, in Niedersachsen 840.000, in Deutschland 8,4 Millionen. Eine "weltweite Studie" mit 1.000 Fällen, das ist ... eine absolute Frechheit, Scharlatanerie und nichts als bandenmäßiger Betrug.

Und was ich eigentlich wissen will: 

  1. Wie kann der "Bildungsdirektor der OECD" sich nicht entblöden, auf der Basis einer so idiotischen "Studie" presse-öffentlich Forderungen an das deutsche Schulsystem zu erheben? 
  2. Und warum haut der Deutschlandfunk so einen Schwachsinn ungefiltert in die Welt?




Gestern, Flugplatz Hatten:
Nach dem erfolgreichen Umbau auf den
von der Fa. Volksschrauber
getunten Briggs&Stratton
wird geprüft und gemessen ohne Ende. 


Freitag, 29. Oktober 2021

Highway-Meditation

Wissenschaft zu verstehen ist keineswegs Eliten vorbehalten, sondern zum Verrücktwerden einfach: Jede Aussage, die sich durch ein Experiment widerlegen lässt, gilt als wahr, bis sie durch ein Experiment widerlegt wird. 

Beispielsatz: "Der Luftwiderstand steigt im Quadrat zur Geschwindigkeit."

Erläuterung: Wenn ein Fahrzeug oder Flugzeug von 50 km/h auf 100 km/h beschleunigt wird, verzweifacht sich die Geschwindigkeit. Das Quadrat von 2 ist 4. Demnach muss permanent viermal soviel Energie aufgewendet werden, um bei dieser Geschwindigkeit den Luftwiderstand zu überwinden. 

Wenn ein Fahrzeug oder Flugzeug von 50 km/h auf 150 km/h beschleunigt wird, verdreifacht sich die Geschwindigkeit. Das Quadrat von 3 ist 9. Demnach muss permanent neunmal soviel Energie aufgewendet werden, um bei dieser Geschwindigkeit den Luftwiderstand zu überwinden. 

Herrlich, oder? Wollen wir die Geschwindigkeit noch vervierfachen? Ich frage mich, was, was dabei wohl rauskommt. Naaa, weiß das wer?

Und das Allerbeste: Die Aussage ist wissenschaftlich und sie ist wahr, denn es gibt tausende Experimente, die sie bestätigen, aber kein einziges, das sie widerlegt. (Wir erinnern uns: Es würde ein einziges Experiment ausreichen, um eine wissenschaftliche Aussage zu widerlegen.) 

Was Wissenschaft so richtig, richtig schwierig macht, sind nicht die Methoden, denn die sind ganz handwerklich. Es sind auch nicht die Ergebnisse, denn die sind eigentlich immer spannend. Das Schwierige an Wissenschaft ist, was die Leute draus machen. Wir bleiben beim obengenannten Beispielsatz.

  • "Jaa, wenn man von 50 auf 100 beschleunigt, mag das stimmen, aber ich fahre eh nie 50, auch nicht innerorts. Und ob ich 80 oder 100 fahre, ist ja wohl latte, oder?"
  • "Hömma, mein Bugatti chiron, dat is sonne platte Flunder, der hat praktisch überhaupt keinen Luftwiderstand, auch nicht bei dreihunnertfuffzich, klar?!"
  • "Die Rechnung kann nicht stimmen. Wenn ich Freitachna'mittach den Firmen-Sprinter mit 180 über die Bahn prügel', dann verbraucht der nix mehr, wie mit fuffzich auffer Landstrasse. Is' echt so."
  • "Sechzehnmal soviel!!!??? Ich brauche sechzehnmal soviel Sprit, wenn ich statt 50 200 fahre? Ihr habt doch 'ne Klatsche! Das stimmt never ever ..."
  • "... und außerdem läuft der Motor ja viermal so lange, wenn Du statt 200 nur 50 fährst, das muss man dann erstmal wieder davon abziehen. Da sieht die Rechnung gleich ganz anders aus."
  • "Jetzt wollen wir doch nicht so tun, als wäre das der Weisheit letzter Schluss. Die Wissenschaftler sagen ja selbst, dass das nur eine Hypothese ist, die nur gilt, bis einer das Gegenteil beweist. Die sind sich also gar nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Es wäre unverantwortlich, für diese links-grün-versiffte Meinungsmache Arbeitsplätze in Doitschlant zu opfern." 
  • "Daniel Bernoulli war schwul / Jude / Kommunist / Neger / Frau / Illuminat / Freimaurer / katholisch / Akademiker / evangelisch / Buddhist - zutreffendes unterstreichen und weitertwittern, Mehrfachnennungen sind möglich und erwünscht."
  • "Soooo, jetzt wollen die Grünen uns also zwingen, für den Rest unseres Lebens nur noch 50 zu fahren!  Das machen die nur, weil sie neidisch auf meinen 507-PS-Audi-SUV sind. Den wollen sie mir wegnehmen, um selber damit fahren zu können! Hängt sie auf!"
  • ... to be continued ...

Diese Ideen kamen mir heute auf der Autobahn. Ich frag' mich, wieso...


(Daniel Bernoulli - verändert via wiki commons)
"Guck ihn dir doch an, den langhaarigen Bombenleger!
Von sonner Schwuchtel lass' ich mir doch nicht vorschreiben,
wie schnell ich fahren darf. Soweit kommt dat noch!"






Mittwoch, 27. Oktober 2021

Heute im Supermarkt

Ich hocke, ein Billig-Produkt in den unteren Regalebenen suchend, vor einem Supermarkt-Regal. Ein Kind schiebt einen Einkaufswagen durch den Gang auf mich zu.

Die Mutter: "Pass auf, fahr den jungen Mann nicht um!"

Ich: "Boah, so hat mich lange niemand mehr genannt."

Die Mutter: "Naja, hätte ich sagen sollen 'Fahr den alten Mann nicht um.'?"

Mir ist noch nicht ganz klar, was ich aus dieser Geschichte lernen soll, aber ich find's großartig, wenn Menschen so spontan und klug und selbstreflektiert antworten können.





(stark verändert via wiki commons)
Lao-Tse sagt:
"Haarausfall und lange Haare gehen 
gut zusammen." Das merke ich mir.




Freitag, 22. Oktober 2021

Zweiter Versuch "Über mich"

Die Selbstkundgabe, möglichst nett zu sein (s. vorangegangener Post), ist von unüberbietbarer Banalität. Darth Vader, Voldemort, Saruman, Orban, Trump, Erdogan und dieser polnische Zeterzwerg würden das Gleiche von sich behaupten, und ihre Biographien bestätigen das: Da ist viel Nettes, das aber - im Laufe der Entwicklung ein wenig fehlgeleitet - in den Resultaten ins Gegenteil kippt. Durch und durch böse Figuren wie Sauron, Hitler und der alttestamentarische Satan wirken grundsätzlich blass, fremd und ein wenig unglaubwürdig. 

Kurz: Nett-Sein ist kein Alleinstellungsmerkmal ¹. Buchstäblich jede*r nimmt das für sich in Anspruch, und folglich wäre es nicht zielführend, dies in einem potentiellen Register "Über mich" in diesem Weblog zu erwähnen. "Nett-Sein" umfasst nahezu alles und ist als Begriff daher nahezu wertlos.

Stattdessen müsste ein eventuelles Register "Über mich" jene persönlichen Eigenschaften nennen, die herangezogen werden könnten, wenn jemand die Gründe sucht, aus denen dieser seltsame Weblog so aussieht, wie er aussieht.

Also, dann mache ich doch mal ein Brainstorming und sammel die Ergebnisse an der Tafel:

  • Neugier
  • unendliches Interesse an nachgehender Selbstbeobachtung
  • das Bewusstsein, dass ich kaum anders und nix schlechter und nix besser bin, als alle meine Mitmenschen und dass wir allesamt manchmal ziemliche Idioten sind
  • die Fähigkeit, mich herzhaft über meine eigenen Unzulänglichkeiten zu amüsieren und sie gleichzeitig ernst zu nehmen
  • die Fähigkeit, meine Unzulänglichkeiten zu analysieren
  • die leider nur begrenzte Fähigkeit, meine festgestellten Unzulänglichkeiten zu beseitigen
  • die Freude an der Anstrengung, das eigene Denken durch die Mühle sprachlicher Logik zu drehen, um zu prüfen, welcher Gedanke etwas taugt und welcher nicht
  • ach ja: Und nett!

Klar soweit? Ok. Und hilft diese Nabelschau jetzt irgendwie weiter? Nein, oder?

Fazit: Es wird kein Register "Über mich" für diesen Weblog geben.



(stark verändert via wiki commons)
Und ich sach noch, Darth, sach ich noch, tu' das nich' ...!




¹ "Alleinstellungsmerkmal" ist als Begriff ohnehin ziemlich großkotzig, angesichts demnächst 8 Milliarden Menschen.




Donnerstag, 21. Oktober 2021

Erster Versuch "Über mich"

"Der Name tut nichts zur Sache" lautet ein doitsches Sprichwort. "Nennt mich Ishmael", heißt es in Moby Dick, aber das wäre hier blöd, weil ich nicht so heiße. "SG800" als nom de guerre sollte hinreichen.

Was ich, wenn ich einen Menschen neu kennenlerne, als Erstes herauszufinden versuche, ist, ob sie*er nett ist. Und deshalb stelle ich die Frage, ob ich nett bin, an den Anfang des Weblog-Registers "Über mich". Leider ist das Attribut "nett" wegen seiner scheinbaren Naivität so lange durch den Kakao gezogen worden, dass es seine ernsthafte und wichtige und schöne Bedeutung, die es in Kindertagen hatte, nahezu komplett verloren hat. 

Die Antwort lautet also notgedrungen etwas komplex: "Ja, ich bin nett in dem Sinne, dass ich mich ganz miserabel fühle, wenn ich feststelle, dass ich andere Menschen verletzt habe und ich bin nett in dem Sinne, dass ich stets versuche, derlei Verletzungen wenn irgend möglich zu vermeiden oder zu minimieren." 

Wenn ich diese Definition so lese, dann frage ich mich, was es an dem Wort "nett" eigentlich auszusetzen gibt. Leben wir in einer so abgeranzten, miesen, fiesen, desillusionierten Gesellschaft, dass Nettsein Grund zu zynischem Spott ist? Immerhin haben die Faschos es mittlerweile auch geschafft, vernunftbasiertes Handeln, Solidarität bzw. Mitgefühl und aktives Eintreten für die FDGO als "Gutmenschentum" schlechtzureden. 

Was genau ist eigentlich schlecht daran, KEIN Arschloch sein zu wollen?

Und damit bin ich deduktiv bei der ersten Aussage in der Abteilung "Über mich" angekommen:

Ich bin ein netter Gutmensch!



(verändert via wiki commons)
Wenn man genau hinschaut, erkennt man den missglückten Versuch, 
den Joint wegzuretuschieren, den Jesus sich hier gerade reintut. 
Wie lächerlich: Ohne Joint ergibt das Bild überhaupt keinen Sinn.





Montag, 18. Oktober 2021

Über mich


Neulich wies eine Bekannte mich darauf hin, eine Internetz-Präsenz wie dieser Weblog müsse ein Impressum führen, das Verantwortliche für das Machwerk nennte. Glücklicherweise konnte ich belegen, dass diese Pflicht nur für gewerbliche Sites gelte, und ich wollte meine Adresse lieber nicht internet-veröffentlichen.

Aber vielleicht, so erwiderte meine Gesprächspartnerin, interessiere die Rezipient*innen, wer hinter den Texten dieses Blogs stecke. Ich könne ja wenigstens ein Register "Über mich" einfügen. Ich wand mich, wies darauf hin, wie viele Blogs zu Stätten dümmlichster narzisstischer Selbstdarstellung verkommen seien. Außerdem sei sowohl für das ästhetische Werk als auch für die wissenschaftliche Arbeit der egolesse Stil mein höchstes Ideal. Wie ich als Einzelner denke, fühle, handle, interessiere doch keine Sau, nicht mal mich selbst. Nur wenn ein Text überindividuelle Relevanz beanspruchen darf, ist er's wert, veröffentlicht und gelesen zu werden. 

Den Vorwurf einer "als Demut verpackten Arroganz" konnte ich nur teilweise entkräften. Das hatte zwar keine negativen interpersonellen Spätfolgen, führte aber dazu, dass ich mich in der Folge auf anderen nicht-kommerziellen, textlastigen Blogs orientierte, wie deren Macher*innen mit autobiographischen Angaben umgingen. Überrascht stellte ich fest, dass die Register "Über mich" bzw. "Über uns" zum Teil durchaus lesenswerte Dinge enthielten.

Und damit gingen die Probleme los. 

Was, bitteschön, soll ich denn "über mich" schreiben - mal gesetzt, ich wolle, wennschondennschon, leidlich bei der Wahrheit bleiben? 

  • "Ich heiße Soundso, bin (ogottogott) soundso alt und bin Lehrer ...."   Ach Du Scheiße, wie langweilig und und ersetzbar ist DAS denn!?
  • "Ich heiße Soundso und bin eigentlich ganz nett ..."   Würgkotzbrech, wer will das wissen? Außerdem ist's teilweise gelogen. Es hat Szenen in meinem bisherigen Leben gegeben, da war ich unwillentlich richtig scheiße, aber so richtig richtig!
  • "Ich heiße Soundso und habe mich mein Leben lang bemüht nett zu sein, aber ich weiß, dass mir das nicht immer gelungen ist ..."   Jaaaaah! Holt einen Therapeuten! Schnell!!!

Meine Probleme bei dem Kapitel "Über mich" sind 

  • erstens, dass ich keine wirkliche Ahnung habe, wer oder was ich bin, 
  • zweitens, dass ich keine Ahnung habe, was ich von dem, was ich "über mich" zu wissen glaube, überhaupt veröffentlichen will und
  • drittens, dass ich keine Ahnung habe, ob es irgendwas "über mich" zu berichten gibt, das überindividuell relevant ist und falls ja, wie ich das erkenne bzw. vom Belanglosen unterscheide.

Die Aufgabe ist allerdings erkenntnistheoretisch interessant. Kann das Subjekt seine Existenz objektiv reflektieren? Kann das Individuum, absolut ins eigene Leben verwickelt, überindividuell relevante Erkenntnis formulieren?

Diese Fragen schreien ja geradezu nach einer Dekonstruktion dessen, was ich bislang so lapidar als Selbstbild mit mir herumgeschleppt habe, mit ein paar randständigen Zweifeln hier und da... Für einen anständigen Taoisten gehört sich's ohnehin, das Selbstbild zu schreddern. Spannende Denk-Aufgaben ergeben sich daraus.

Nun denn!




(verändert via wiki commons)
Dekonstruktion: Duchamps, 1912, Nu descendant ...



Samstag, 16. Oktober 2021

Bekennende Mörder

 "IS bekennt sich zum Anschlag auf Moschee" titelt tagesschau.de. Ich wüsste gerne, was genau in fundamental-religiös-terroristischen Bekennerschreiben steht. Die Textrecherche führt aber meist in ganz und gar unappetitliche Bereiche des Internetzes, drum lass' ich's. Schade, denn mich interessiert durchaus, wie man es begründet, 41 Menschen in einem Gotteshaus zu ermorden, während sie eine Religion ausüben, der auch die Attentäter und vor allem ihre Auftraggeber angehören. 

Haben die Jungs "Allahu akbar" gerufen, bevor sie die Bomben zündeten? Und was haben die Opfer gerufen?

Und wie ist das - so rein glaubensmäßig - wenn Täter und Opfer praktisch zeitgleich im selben Paradies ankommen? Bevor man anfangen kann, mit den versprochenen 72 Jungfrauen rumzumachen, sind da vermutlich erstmal ein paar klärende Gespräche fällig, oder? 

Sitzt Allah, in dessen Namen diese Dinge geschehen, dabei mit am Tisch? Und wenn ja, in welcher Rolle? Als Mediator ("Jungs, ich will hier oben keinen Ärger haben, also reicht Euch die Hände, vertragt Euch!")? Oder als Angeklagter (Anstiftung zu geplantem, systematischem Genozid)? Oder als Richter ("Wie bescheuert muss man eigentlich sein!? Ab in die Hölle, Ihr gottverfluchten Arschlöcher!")?

Ich. Würde. Es. Gerne. Verstehen.


(verändert via wiki commons)

Samstag, 9. Oktober 2021

Polexit

 

Längst überfällig, aber endlich ist es so weit: Polen macht sich ehrlich ¹ und tritt aus der EU aus. Tschechien, Ungarn sowie die Bundesländer Thüringen und Sachsen nutzen die Gelegenheit, sich nun auch offen zu ihrer anti-demokratischen, anti-freiheitlichen und anti-rechtsstaatlichen Grundhaltung zu bekennen und ergo aus der EU bzw. der BRD auszutreten. Ich gratuliere allen Genannten zur konsequenten Umsetzung ihrer politischen Überzeugung. An den Sondierungsgesprächen zur Gründung einer Allianz Autoritärer Nationalstaaten werden auch Vertreter ² aus Belarus', Groß-Serbien und der Türkei teilnehmen. ³

Ernsthaft: 

Wäre die EU in erster Linie ein Verbund von Staaten, die sich der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte verschrieben hätten, dann wären Polen, Tschechien, Ungarn längst raus. Ist sie aber nicht.

Die EU ist ein loser Haufen egoistischer Kleinstaaten jedweder politischer und ethischer Couleur, die alle irgendwie hoffen, aus ihrer Mitgliedschaft erheblichen finanziellen Profit zu schlagen, sei es durch direkte Subvention (z.B. Polen), sei es durch die grenzenlose Marktdurchdringung, sprich: Erschließung von Absatzmärkten und durch Lohndumping durch "Saisonkräfte" (z.B. Deutschland).

Polen und Ungarn können sich benehmen wie die Axt im Walde, weil sie genau wissen, dass deutsche Lobbyisten sie nicht gehen lassen werden.  


  

(stark verändert via wiki commons)






¹ vgl. redensarten.de

² Nein, keine weibliche Sprachform. Da geht's um Politik, das verstehen Frauen nicht.  

³ Vorauseilende Historiker:innen sprechen schon jetzt von der Phase der Entstehung eines "faschistoiden Halbmondes" von der Ostsee bis ans Mittelmeer.







Montag, 4. Oktober 2021

Jubel-Presse


Mich begeistert's: Heute wird - quasi bei mir vor der Haustür - der Welt erste Anlage zu Synthese CO₂-neutralen Kerosins feierlich angeschaltet. Irgendwann in etwa einem Jahr wird sie eine Tonne Kerosin pro Tag liefern. 

Taschenrechner in die Hand! Eine Tonne Kerosin, das sind etwa 1.250 Liter. Der weltweite Verbrauch beträgt 11.500 Liter ... pro Sekunde! Demnach wird die Anlage an einem Tag Kerosin für 0,108 Sekunden produzieren. Ein Tag hat 86.400 Sekunden.  

Mich stört nicht, dass die Anlage nicht mehr kann. Immerhin ein Anfang und so weiter. Mich stört, dass die jubelnde Journaille diesen ganz naheliegenden Dreisatz nicht auf die Kette gebracht hat. Was für einen Bärendienst hat man dem Projekt erwiesen, dass nun jede*r Interessierte selbst die ganz, ganz bittere Wahrheit herausfinden und sich betrogen und intellektuell beleidigt fühlen muss und wird. 

"Man spürt die Absicht und man ist verstimmt." (J.W.G.)



"86.400 durch 0,108 sind .... äähm ..."









Sonntag, 3. Oktober 2021

Gute Sache: Restlaufzeit


Das herbstliche Wetter schafft Zeit und Raum für allzugern Tabuisiertes. Ich finde heraus: Für (demnächst) 60-jährige Männer wie mich kalkuliert das Statistische Bundesamt eine "fernere Lebenserwartung" von 22 Jahren. Die graphische Umsetzung erleichtert das Verständnis:



 

Interessante Sache das, oder? Man verstehe mich nicht falsch: Zwar teile ich die ganz kreatürliche Angst vor einem schmerz- und leidvollen Sterbeprozess, aber der Gedanke ans Hinterher-Totsein schreckt mich ebensowenig wie die Frage, ob ich vor meiner Geburt war, und wenn ja, wo. Das Thema entzieht sich eingestandenermaßen der naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode, und das bedeutet, es gibt entweder spannende Entdeckungen zu machen oder es ist das Nirwana ¹. Beides kein Grund zur Klage. 

Das barocke "Memento mori", das "Bedenke, dass Du sterblich bist!", kann eigentlich auch kein Grund zur Trübsal sein. Es ist, im Gegenteil, die Aufforderung, mit der begrenzten Ressource "Zeit" besonders sorgfältig umzugehen. Je intensiver ich drüber nachdenke, desto weniger bin ich im Stande, positive Szenarien für ewiges Leben zu fantasieren ².   

Kurz & gut: Versteht, liebe Leser*innen die Graphik da oben nicht falsch. Sie ist kein Grund zur Traurigkeit, nur eine Erklärung dafür, dass ein alter Zausel das Leben immer fröhlicher und ungehemmter genießt.   




 

¹ Dass es eine Hölle gibt, in der meine Seele ewig brennen und von Toifeln gepiesackt wird, ist eine Vorstellung, die nur den sehr kranken Hirnen sehr alter, vergrätzter, boshaft-neidischer Männer entspringen kann. Ich hoffe wirklich, dass sie in den Höllen schmoren, die sie sich zusammenfantasiert haben, um dumme Menschen gefügig zu machen. 

² Jaaa, klar, wenn's dann ans Sterben geht, wünscht man sich garantiert noch dieses oder jenes Stündchen, um dies und das zu erledigen. Genau so, wie man, wenn man kein Kohle hat, sich welche wünscht, auch, wenn man prinzipiell den Kapitalismus zurecht verdammt.