Mittwoch, 7. Dezember 2016

PISA-Kasper


Die Provinz-Presse bläht die ganz einfache Wahrheit über das nur mittelprächtige Abschneiden doitscher 15jähriger im weltweiten PISA-Vergleichstest heraus: Es liegt die Schuld natürlich bei den LehrerInnen. Hier müsse, einzige Lösung, ganz dringend an der Aus- und Fortbildung gearbeitet werden.

Das ist so sicher und so logisch, wie das Amen in der Kirche! Wenn es nämlich nicht an den LehrerInnen läge, müsste man ja anderswo nach Gründen suchen, und das wird ganz und gar unappetitlich. Wo sollte man da denn ansetzen?

Bei den SchülerInnen etwa? Auf keinen Fall, denn erstens sind diese zarten Seelchen, und das meine ich völlig unironisch, nur ein Opfer ihrer Zeit und gesellschaftlichen Umgebung. Wir präsentieren ihnen Hoeneß, Trump und Dieter Bohlen als mediengehypte menschliche Vorbilder und RTL2, Facebook und beliebige Videostreams als Surrogat für echte Kulturaneignung, z.B. das Lesen.

Und zweitens haben SchülerInnen Eltern, und wer hat schon den Arsch in der Hose, den Eltern mitzuteilen, dass ihre Sprösslinge nicht allesamt hochbegabte künftige NobelpreisanwärterInnen sind, sondern normal-doofe, normal-faule Kiddos, wie überall auf diesem kultur-nivellierten McDonald's-Planeten? Eltern sind WählerInnen. Sollen sich Plittikörr etwa selbst absägen, indem sie unbequeme Wahrheiten verbreiten? Für eine Legislatur wird's schon noch gehen.

Weiter oben in der Kultus-Nahrungskette kommt dann der schulorganisatorische Mittelbau, die Ratten in der Bildsäule [*1]. Die KultusministerInnen selbst können wir dabei getrost ignorieren, denn die sind in unserem föderalen Bildungssystem per definitionem Nullnummern, die grundsätzlich nur aus parteipolitischem Proporz gesetzt werden und nicht, weil sie kompetent sind, Verantwortung haben oder übernehmen oder gar ernsthaft was verändern sollen.

Nein, wir müssen uns auf der Ebene der StaatssekretärInnen und knapp darunter umsehen. Das sind die Leute, die so spannende Konzepte raushauen, wie Integration von Flüchtlingen, Inklusion von Menschen mit Behinderungen, Förderung von schwächeren und gleichzeitig von hochbegabten SchülerInnen mit ziel- und binnendiffernziertem, medien- und sozial- und fachkompetenzorientiertem Unterricht  - und das Alles gleichzeitig in einem Klassenraum mit 28 Schwerstpubertierenden.

Sollen wir diesen politisch gesetzt, höchstbesoldeten BeamtInnen etwa Vorwürfe machen? Können die etwa was dafür, dass unsere Kiddos gefühlt vollverblöden? Um Himmels Willen, nein, denn erstens verlören die Damen und Herren mit sofortiger Wirkung ihre berufliche Existenzberechtigung, wenn sie sich nicht ständig so schwachsinnige - pardon: unevaluierte - Konzepte ausdächten und zweitens sind das die Leute, die über die nächste PISA-Teilnahme und ergo -Finanzierung mitentscheiden. So jemanden will man sich keinesfalls zum Gegner machen.

Und oberhalb dieser Ebene kommt der "big cheese", die Bundespolitik, die sich zurecht immer wieder auf die Position zurückzieht, Bildungspolitik sei Ländersache (aber gleichzeitig ein paar hundert Millionen Euro gießkannenartig für digitalen Unterricht verplempert, obwohl niemand eine klare Vorstellung hat, was genau das sein und vor allem bewirken soll).

Schließlich wäre da ja auch noch die sehr heiße Frage nach der Aussagefähigkeit des PISA-Tests. Alter Witz aus der Lernpsychologie: "Was ist Intelligenz?" "Das, was der Intelligenztest misst." Kein Witz: "Warum haben die Niederländer kein Problem mit dem PISA-Test?" "Weil sie einfach beschlossen haben, nicht daran teilzunehmen." Den PISA-Test an sich in Frage stellen? Niemals! Wisst Ihr nicht, was für unfassbare Umsätze die Schulbuch-Verlage damit machen? Und wer hat in den Kultusministerien wohl mehr zu sagen, ausgebildete PädagogInnen oder die Verlags-Lobby?

Liebe Freunde der Pädagogik, wenn Ihr wollt, dass ich die Kinder auf den PISA-Test vorbereite, dann braucht Ihr's nur zu sagen! Ich bin eine ganz und gar unmoralische Söldnerseele, ich zieh' das durch, ohne mit der Wimper zu zucken. Als Erstes alle schwachen SchülerInnen absägen. Dann Paukschulen nach Vorbild Singapurs (Testsieger) einrichten. Knallharte Selektion durch dauerhafte Testkultur, wer nicht mithält, ist eben abgehängt. Vielleicht hilft massive Nachhilfe in renomierten Institutionen, wenn die Eltern es sich leisten können. Da haben wir Sieger auf allen Seiten: Die Plittikörr können sich einmal jährlich auf die Schultern klopfen, für uns LehrerInnen wird das Leben unglaublich leicht, die Eltern und die späteren Arbeitgeber freuen sich über wohlerzogene, pflegeleichte, seelisch gebrochene,  duckmäuserische Kinder - Friede, Freude, Eierkuchen.

Spaß beiseite, kurzer, ernster Sinn: Das wahnwitzig hohe LehrerInnengehalt ist zu einem gewissen Teil auch ein Schweige- und Schmerzensgeld. Wir ertragen den täglichen Schwachsinn, prostituieren uns (mit der geballten Faust in der Tasche) als Sündenböcke für Plittikörr und Eltern, schweigen und versuchen auch weiterhin, unsere SchülerInnen vor dem kompletten Irrsinn da draußen bestmöglich zu schützen. Wir alle betreiben längst Guerilla-Pädagogik gegen verrottete, verlogene Strukturen.



(Bansky - via wiki commons)







PS: Wer meint, ich hätte hier nur Frust abgeladen, führe bitte folgendes Gedankenexperiment durch.

Gesetzt den Fall, Doitschland wäre im PISA-Test 2016 auf Rang 1 (statt auf 16) von 76 gelandet - welche Option wäre wahrscheinlicher? 

1. Die Plittikörr und die Medien hätten auch in diesem Fall die komplette und ausschließliche  Verantwortung für den Erfolg allein auf die LehrerInnen geschoben, nebst Glückwünschen und Dank für die brilliante Arbeit.

2. Die Plittikörr und ihre anhängigen Ratten hätten sich orgastisch dafür selbstbeweihräuchert, dass sie den ewig-lahmblöden LehrerInnen so eine vortreffliche Struktur verfügbar machten ... blablabla ...







[*1] J.G. Herder: Das größte Übel des Staats, die Ratte in der Bildsäule

Hoan-Kong frage einst seinen Minister, den Koang-Tschong, wofür man sich wohl in einem Staat am meisten fürchten müsse. Koang-Tschong antwortete: »Prinz, nach meiner Einsicht hat man nichts mehr zu fürchten, als was man nennet: die Ratte in der Bildsäule.«
Hoan-Kong verstand diese Vergleichung nicht; Koang-Tschong erklärte sie ihm also:
»Ihr wisset, Prinz, daß man an vielen Orten dem Geiste des Orts Bildsäulen aufzurichten pflegt; diese hölzernen Statuen sind inwendig hohl und von außen bemalet. Eine Ratte hatte sich in eine hineingearbeitet; und man wußte nicht, wie man sie verjagen sollte. Feuer dabei zu gebrauchen getraute man sich nicht, aus Furcht, daß solches das Holz der Statue angreife; die Bildsäule ins Wasser zu setzen, getraute man sich nicht, aus Furcht, man möchte die Farben an ihr auslöschen. Und so bedeckte und beschützte die Ehrerbietung, die man vor der Bildsäule hatte, die - Ratte.«
»Und wer sind diese Ratten im Staat?« fragte Hoan-Kong.
»Leute«, sprach der Minister, »die weder Verdienst noch Tugend haben und gleichwohl die Gunst des Fürsten genießen. Sie verderben alles; man siehet es und seufzet darüber; man weiß aber nicht, wie man sie angreifen, wie man ihnen beikommen soll. Sie sind die Ratten in der Bildsäule.«










1 Kommentar:

  1. Hallo Markus,dein Beitrag sollte -ggf. adressaten-und medienbezogen geringfügig redigiert - in der regionalen und überregionalen Presse in Wort,Bild und Ton verbreitet werden! Liebe Grüße von Koh Lanta Barbara und Michael

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