Sonntag, 17. September 2017

Falsches Bild


Diese Karikatur ist uralt und begleitet mich gefühlt schon mein ganzes Lehrerleben:



Meistens wird das Bild in Texten zum Thema "Chancengleichheit" appliziert, und es richtet sich kritisch gegen ein Unterrichts-, Bewertungs- und Prüfungssystem, das nahezu ausschließlich auf kognitive Fähigkeiten abhebt. Im Namen der Chancengleichheit lassen sich daraus alle möglichen (!) pädagogischen, lernpsychologischen, schulorganisatorischen und gemeingesellschaftlichen Forderungen ableiten.

Und diese Forderungen wurden und werden auch tatsächlich erhoben und umgesetzt - in den meisten Fällen von BildungsplittikörInnen, die selbst keine praktische Erfahrung mit Schule haben, sieht man von ihrer eigenen, längst vergangenen Schulzeit und vielleicht der ihrer Kinder ab. Die Folge dieses jahrzehntewährenden, permanent unevaluierten Prozesses ist, dass die LehrerInnen heute, ganz im Sinne von Integration und Inklusion, täglich vor Klassen stehen, deren SchülerInnen in ihren Voraussetzungen genau so heterogen sind, wie es die Karikatur so treffend darstellt.

Was kann man da unterrichten? Auf-Bäume-klettern geht nicht, das wäre unfair gegenüber Elefant, Fisch, Seehund und Hund. Das legt der Sprechblasentext ja auch nahe. Fliegen und Schwimmen ist aber auch kein adäquater Unterrichtsinhalt, weil nur für je zwei von sieben SchülerInnen angemessen. Lesen, Schreiben, Rechnen entfällt auch: Der Fisch ist zu doof, die Anderen sind dafür sonstwie mehr oder weniger gehandicapped oder das sozio-ökonomische Umfeld lässt es einfach nicht zu.

Was also tun? Zwei Dinge. Erstens: Man suche fachlich den kleinsten gemeinsamen Nenner, ein Ziel, das alle problemlos erreichen können und sich dann in der Gruppe gut fühlen und in der Schule gut aufgehoben, gewertschätzt und, ja, geliebt, so, wie sie sind. Die Lerngruppenanalyse der in dem Bild dargestellten Klasse ergibt als infrage kommende gemeinsame Unterrichtsinhalte: Atmen, fressen und kacken. 

Gut, das sind keine sehr ambitionierten curricularen Vorgaben für eine Nation, die außer gut ausgebildeten jungen Menschen keine Ressourcen hat. Und man könnte einwenden, dass diese Anforderungen so niveaulos, pardon: niederschwellig, sind, dass die abgebildeten SchülerInnen das bisher auch ohne besondere schulische Ausbildung hingekriegt haben, aber wir brauchen ja irgendwas, was wir zum Schluss prüfen können, ohne, dass uns weiterhin vorgeworfen wird, wir würden ein System fortschreiben, das Einzelne benachteiligt.

Zweite Option: Binnendifferenzierung. Eine Super-Idee, die individuelle Förderung einzelner SchülerInnen. Eine wahnsinnig aufwändige Methode, die ausschließlich über die Arbeitsverdichtung bei den LehrerInnen gewuppt wird, d.h. alle finden die Idee super, aber es gibt weder Geld noch Entlastungsstunden dafür, nur die je individuelle Mehrarbeit und die exponentiell gestiegene Erwartungshaltung an das Leistungsvermögen der LehrerInnen. Und: Die Idee stammt aus einer Zeit, als es noch Förderschulen gab, als junge Menschen mit Behinderungen also noch außerordentlich engagiert und erfolgreich von dafür ausgebildeten Profis betreut und beschult wurden.

Die Binnendifferenzierung war ursprünglich nie dafür ausgelegt, guten Unterricht sowohl für das ES-Kind als auch für das Gymnasial-Empfehlungs-Kind in einem Klassenraum zu organisieren. Auf die bescheuerte Idee, man könne sowas doch mal machen, kam man auch nicht, weil das jemals irgendwo funktioniert hätte, sondern, weil man damit irrsinnig viel Kohle einsparen kann.

Und so sieht der binnendifferenzierte Unterricht heute aus: Der Seehund, der sich weitab des Wassers recht unwohl fühlt und entsprechend mürrisch ist, schnüffelt am Terrier, der aber ADHS-zertifiziert ist und ergo schockiert dem Seehund in die Flosse beißt. Der Seehund jault, der Elefant springt erschreckt auf, wirft dabei das Goldfischglas um, der Goldfisch droht zu ersticken. Während die Lehrperson hinzustürzt, um das Chaos zu bearbeiten, wird's dem Affen zurecht langweilig, er klettert auf den Baum. Der Schuhschnabel hat erkannt, dass die Nummer wohl wieder länger dauern wird und beginnt verbotenerweise mit seinem Handy zu spielen. Die Elster versucht, wenigstens ansatzweise, ein paar Aufgaben aus dem Wochenplan zu bearbeiten, merkt aber schnell, dass das zu Hause besser ginge, weil man sich hier einfach nicht konzentrieren kann und fliegt davon ...

 Ja, ja,ja, das ist Alles natürlich viel zu schwarz gemalt, und ich gebe zu, dass ich provozierend überspitze. Hier mein konstruktiver Gegenvorschlag:

  • Wir nehmen alle Jung-Affen dieser Region und trainieren mit ihnen das Baumklettern. Dafür sind sie gebaut, da werden sie Erfolgserlebnisse haben, das wird ihnen Spaß machen, und es ist nützlich.
  • Wir nehmen alle Jung-Schuhschnäbel dieser Region und trainieren mit ihnen das Fliegen und zeigen ihnen Tricks bei ihrer sehr speziellen Art der Nahrungssuche. Dafür sind sie gebaut, da werden sie Erfolgserlebnisse haben, das wird ihnen Spaß machen, und es ist nützlich.
  • Wir nehmen alle Jung- Elefanten dieser Region und ... 
  • etc. etc. etc.  
  • Außerdem lehren wir ausnahmslos allen Tieren Toleranz, Respekt und Mitgefühl für alle anderen Tiere, die Unantastbarkeit der FDGO und noch ein paar andere Sachen aus dem "geheimen Lehrplan". 





(verändert via wiki commons)
Klar soweit?









Montag, 11. September 2017

Wir haben's weit gebracht!


Verwunderlich: Insbesondere jene Regierungen, die gerade absichtlich und mit aller Gewalt die jeweiligen demokratischen Verfassungen ihrer Länder gegen die Wand fahren, hacken derzeit auf uns Deutschen rum und sind bestrebt, uns auf unsere nazistische Vergangenheit zu reduzieren.

Liegt das vielleicht daran, dass die BRD - trotz all' ihrer vielen Macken und Fehler - ein ziemlich erfolgreiches Beispiel dafür ist, dass eine relativ friedliche, tolerante freiheitliche, demokratische Grundordnung gesellschaftlich, aber auch wirtschaftlich ein Erfolgsmodell ist? Und dass so ein gelebtes, real existierendes Beispiel allen machtgeilen, kleingeistigen Anti-Demokraten in der Türkei und in Vizegrad-Country ein Dorn im Auge sein muss?

Die politische Flatulenz aus dem Osten und Südosten könnten wir dann als ein großes Kompliment betrachten. Allerdings nur, wenn wir die ethische Meßlatte, mit der wir unser eigenes Verhalten bewerten, ganz, ganz weit unten anlegen wollen.





 (Klimt: Pallas Athene, 1898)
Die zwei Gesichter, was für eine geniale Komposition ...

 





Freitag, 8. September 2017

Empfiehlt sich: LMd


Habe jetzt ein mehrmonatiges Probe-Abo der "monde diplomatique" und neulich die erste Ausgabe erhalten. Kann mich vor lauter Selbst-Ironie kaum noch halten.

Erwischte mich bei dem Gedanken, wo ich die Ausgaben wohl sammeln könnte, dass sie gewiss auch dem fallweisen Besucher wie zufällig ins Auge springen müssten.

Mein Innerer-Dialog-Partner ätzt nun andauernd rum, ich könne (nach Kant) die Mühwaltung eigenständigen kritischen Denkens jetzt getrost aufgeben, da ich schließlich über die Abo-Gebühren andere bezahle, dies an meiner Statt zu tun. Und ob ich intellektuell wirklich schon so abgewirtschaftet sei, dass ich es nötig hätte, mich mit Insignien aktuellen kritischen Diskurses zu behängen. Oder ob hier etwa der EdeKa*- Provinzpauker seiner armseligen ländlichen Beamten-Piefigkeit den Hauch der großen, weiten Welt verpassen wolle, indem er eine Zeitung mit dem Titel "Le Monde diplomatique" bestellt, so, wie der Penner, der ostentativ das "Manager-Magazin" studiert ...

Alles Quatsch!

LMd ist einfach wirklich lesenswert. Und da hochkarätiger Qualitätsjournalismus mit richtig langen, kritschen Texten und nur ganz wenigen Bildern zu den bedrohten Kulturtechniken gehört, mache ich hier einfach mal ganz selbstlos Werbung dafür.


Mit besten Empfehlungen!




* Ende der Karriere





Sonntag, 3. September 2017

Wozu es gut ist ...


Heute perfektes Flugwetter jehabt. Jroßen Rundflug jeplant. Wurde nüscht draus. Beim Check des Flugzeugs festjestellt: Halterung für Luftfilter-Einheit deutlich anjerissen. Ärgerliche Fehlkonstruktion. Zum Kotzen: Statt Lustflug Schadensbeseitigung, ölverschmiertes Rumforschen am Objekt. Ein janzer Nachmittag verschwendet. Kotzkotzkotz!

Auf der einstündigen Rückfahrt vom Flugplatz dann die Besinnung.
  1. Gut, dass ich den Fehler bemerkt habe. Wäre das Teil im Flug weggebrochen, womöglich in den Propeller geflogen, dann wär's richtig blöde (und teuer) geworden.
  2. Wie ausgesprochen nett, hilfsbereit und kompetent haben mir die Flieger-Kameraden mit Rat und Tat geholfen, ein gutes Erlebnis. Auf diese Weise kommt mein Flugzeug außerdem zu einer neuen Filtereinheit, die technisch viel besser ist als die bisherige. Jeder Fehler ist ein Schatz.
  3. Und wieder mal: Wie überaus privilegiert bin ich doch, mich mit derartigen Problemen herumschlagen zu dürfen. Oder genauer: Dass ich so einen Hochwert-Pippifax als Problem bearbeite, zeigt, dass es mir eigentlich unerträglich gut geht.

Konsequenz:
  • Erstmal eine neue, andere Luftfiltereinheit bestellt.
  • Dann nach langer Zeit mal wieder was an "Löwenherz" gespendet. Ethische Erleuchtungen dürfen ja durchaus mal praktische Resultate haben. Fühlt sich gut an. Ich empfehle es dringend weiter.


Hier fällt auseinander, was zusammengehört ... Beim Ausbau ist der Riss allerdings noch etwas größer geworden. Ganz so weit wie auf diesem Bild war es ursprünglich dann doch nicht.








Mittwoch, 30. August 2017

Freuden der Mathematik

Interessante Sache, das:

  • In Südostasien, im weiten Umfeld rund um Kalkutta, hat der Monsun 1.500 Menschenleben gefordert. 
  • In den USA, im weiten Umfeld rund um Houston, hat der Wirbelsturm "Harvey" 30 Menschenleben gefordert.
  • Kalkutta ist von meinem Heimatdorf 7.347,29 km entfernt.
  • Houston ist von meinem Heimatdorf 8.180,15 km entfernt.
  • Über die Sache in den USA wird, konservativ geschätzt, 100mal mehr berichtet.

Aufgabe: Berechnen Sie den journalistschen Wert eines Menschenlebens.

1.500 Menschen, 7.347,29 km entfernt, ist gleich ... äh ... 4,89819.

Das bedeutet, ein toter Inder reicht für etwa 5 Kilometer Distanz, um aus einer Katastrophe noch eine Nachricht zu machen, jedenfalls bei tagesschau.de, bei den anderen wichtigen Presse-Portalen reicht es dazu nicht.

Im Vergleich die USA: 30 US-Todesopfer 8.180,15 km entfernt ... sind ... ah! Ein toter US-Amerikaner reicht immerhin für knappe 273 km Distanz, um hier noch als Nachricht verwurstet zu werden.

Nun müssen wir aber noch berücksichtigen, dass über "Harvey" mindestens 100 Mal mehr berichtet wird. Demnach ist der tote Ami für 27.300 Kilometer Berichtsdistanz gut.

27.300 : 5  =  5.460

Das bedeutet, ein US-Amerikaner ist in der medialen Darstellung genau so viel wert wie 5.460 Asiaten.

Immer wieder herrlich, wenn unbestechliche Mathematik bestätigt, was man intuitiv längst wusste.






(Gandhi, Salzmarsch, verändert via wiki commons)
Auf diesem Bild sind etwa 24 Inder erkennbar, also knapp ein halbes Prozent eines Amis.











Sonntag, 20. August 2017

Kreative Pause


Dieser Blog und ich, wir beide brauchen mal eine kreative Pause bis ... achgottchen, keine Ahnung ... zwei, drei Wochen?













Freitag, 18. August 2017

À la recherche de la nature perdu




(16.08.2017, Ammerland, östl. Z'wahner Meer, 600 ft.)

Baumschule aus knapp 200 m Höhe. Jaaa, ok, noch ein anschaulicher Beweis dafür, dass wir im Stande sind, unsere einst natürliche Umwelt in etwas zu versaubeuteln, das dem ästhetischen Anspruch eines wohlsortierten Kleinteile-Magazin eines pingelfroschigen Hobbybastlers entspricht.

Wir können das mit kontinentalen Ökosystemen wie dem Regenwald und wir können das bis hinunter zur Ebene der Biochemie. Ob wir mit dieser Fähigkeit gerade klug umgehen, muss hingegen auf's Äußerste bezweifelt werden.