Samstag, 29. Dezember 2018

Türme aus Elfenbein



Gerade im Radio Bericht zum neuerlichen Grubenunglück in Indien gehört, darin u.a. folgende Aussage, näherungsweise wörtlich zitiert: "Illegaler Bergbau ist seit 2014 in Indien verboten."

Ja, dem Satz gebricht es, scheint's, an inhaltlicher Logik. War der Bergbau, als er verboten wurde, denn auch schon gesetzeswidrig, also verboten? Oder wurde der Bergbau erst durch das Verbot von 2014 illegal, war es bis dato also nicht?

Das ist aber nur die arrogante Krittelei weltfremder Deutschlehrer. In der richtigen Welt gehört die Frage nach logischer Konsequenz nämlich längst in den Elfenbeinturm. Abgaswerte, Rüstungsexporte, Umweltverbrechen, Geschwindigkeitsüberschreitungen, Datenschutz, etc. etc. etc., wir haben uns doch längst daran gewöhnt, dass es Vorschriften gibt, die zwar Gesetzeskraft haben, aber einfach nicht durchgesetzt werden. Nur weil's illegal ist, muss es noch lange nicht verboten sein.

Das ist nicht unbedingt schlecht. Das vergessene Tempo-30-Schild auf einsamer, mitternächtlicher Landstraße, bis zum Horizont kein Mensch außer Dir, und nur der Mond schaut zu - wie blöd müsste man sein, hier keine eigenverantwortliche Entscheidung zur Geschwindigkeit über Grund zu treffen? Und kein verantwortungsbewusster Gesetzeshüter gäbe sich die Blöße, für den Verfolg derlei Fipsigkeiten seine steuerfinanzierte Dienstzeit zu verpulvern, und das ist gut so.

Wenn hingegen Autokonzerne den Tatbestand organisierter Betrugs-Kriminalität mehrfach übererfüllen und dadurch Millionen von Kunden und unsere Umwelt weltweit in erheblichem Maße schädigen, dann erwarten wir natürlich schon, dass bestehendes Recht angewendet wird. Doch die Zeiten sind nicht so.

Ich reime mir die Sache mit den indischen Bergwerken also so zurecht: Außerhalb staatlich zugelassener, quasi TÜV-zertifizierter Bergwerke war Bergbau in Indien schon länger verboten. Aber, sei es durch Korruption oder weil der indische Staat einfach die Kohle brauchte (Wortspiel!), man ließ die Sache laufen. Nach den ersten 15.000 Toten (ein Wert aus dem o.g. Bericht) sah man ein, dass das irgendwie doch nicht ging, und man beschloss 2014 ein Gesetz, das sinngemäß lautet: "Das, was wir sowieso schon längst verboten haben, ist ab jetzt aber ganz in echt richtig verboten, also so richtig richtig, das ziehen wir jetzt voll durch, passt bloß auf, ey!"

Die Tatsache, dass nun, Ende 2018, wieder 40 meist jugendliche Bergarbeiter in so einem illegalen Bergwerk "nur wenig Hoffnung auf Rettung" haben, beweist die Wirksamkeit derartiger Gesetze.

Ich bleibe ratlos zurück. Habe nur einen Wunsch: Lasst uns doch alle Gesetze, Vorschriften und Regeln, die wir sowieso nicht konsequent durchsetzen wollen oder können, rausschmeißen. Auf der mitternächtlichen Landstraße interessiert's keine Sau, wie schnell Du fährst. Wenn Du Dich wegen überhöhter Geschwindigkeit um einen Baum wickelst, bist Du dran (falls Du überlebst)! Wenn alles gut geht, ist doch alles gut, oder?

Oder: Konzernbosse und Bundesminister werden für ihr Tun niemals (!) zur Verantwortung gezogen. Wenn das die juristische Praxis ist, warum halten wir uns dann mit anderslautenden Gesetzen auf? Warum haben wir Gesetze zur Begrenzung von Rüstungsexporten? Sagen wir's doch ganz offen und ehrlich: "Rüstungsexporte in Krisengebiete sind verboten, außer die Leute zahlen RICHTIG gut und nehmen gleich größere Mengen ab." Das klingt jetzt ethisch nicht ganz astrein, aber immer wieder zu lügen und ständig dabei erwischt zu werden, ist auch nicht so pralle.

Lasst uns mit Lügen und Selbstbetrug aufhören und nur ein paar wenige, wahre, klare, durchsetzbare Gesetze machen, und nur da, wo wir auch wirklich zuschlagen wollen, wenn jemand dagegen verstößt. Das Leben wird dadurch für alle Beteiligten viel einfacher!




(Elfenbeinturm - verändert via wiki commons)

Obwohl ... so'n Elfenbeinturm sieht natürlich geiler aus, als die kalte, düstere Wahrheit.













Donnerstag, 27. Dezember 2018

Träume sind wichtig!

Gerade einen klugen Guardian-Kommentar zu Britanniens Zukunftsperspektiven nach dem Brexit gelesen. Ein plausibel pessimistisches Bild. Egal was kommt, die Briten werden schwer beschädigt aus der Sache hervorgehen.

Wie sind sie in diese blöde Situation gekommen? Träume!

Die Machthaber und Möchtegern-Machthaber dieses Planeten sind ganz großartig darin geworden, den tumben Massen Träume zu verkaufen, und die tumben Massen sind dafür umso empfänglicher geworden, je kaputter und gestörter ihre je individuellen Selbstbilder sind.

Ich weiß zwar nicht, wie die/der einzelne britannische Brexit-Befürworter tickt, aber die Brexit-Einpeitscher beschworen vor dem ersten Referendum immer wieder den Traum, das Empire könne wie in der schlechten alten Kolonialzeit wiedererstehen - und würde, wenn nicht die Brüsseler Blutsauger immer wieder ihre gierigen Krallen ins ehrliche Fleisch John Bulls schlagen würden.

(John Bull - verändert via wiki commons)

"Ämmäricka fööhst!" ist die Traum-Botschaft an den "White trash" (Selbstbezeichnung!) des Mittleren Westens, der zwar allzu realistisch einschätzt, was er ist, aber gerade deshalb heilfroh ist, wenn man ihm sagt, er könne qua Zufall des Geburtsortes Anspruch auf eine gewisse Besonderheit auf diesem Planeten erheben. Derlei Botschaft hört man gerne, selbst wenn sie von einem krankhaften Egomanen kommt.

Teil der Wiederauferstehung des osmanischen Reiches in altbyzantischer Pracht zu sein ist natürlich eine angenehmere Selbstsicht, als eingestehen zu müssen, dass man mit den Welterklärungsmodellen anatolischer Kleinagrarier nicht unbedingt im globalen Wettstreit reüssieren wird.

Weltmachtphantasien zwischen zaristischer Auctoritas und stalinistischer Potestas lassen sich besser verkaufen als das Eingeständnis, dass das Volk, das den größten Anteil am Sieg über den Faschismus hatte, aufgrund einer dauerhaft bösen, korrupten Führungs-Mafia der größte Netto-Verlierer dieses Krieges und Nachkrieges wurde.

Vom südlichsten Balkan bis zur polnischen Ostseeküste gibt es einen Streifen von Ländern, deren Geschichte eigentlich immer nur darin bestand, entweder vom eigenen Adel oder von den angrenzenden Großreichen verraten, verkauft und gegeneinander ausgespielt worden zu sein. Jede noch so löcherige, grottenpeinliche Geschichtsklitterung, jeder Traum, die bzw. der dazu angetan ist, hier einen Furz künstlich-bemühter nationaler Selbstachtung einzublasen, wird natürlich dankbar angenommen - zu jedem Preis an Rechtsstaatlichkeit und persönlicher Freiheit, wie's scheint.

Und bei uns? Welche Träume verkauft eigentlich die AfD? Welches "Früher" meinen die, wenn sie den Früher-war-alles-besser-Traum verkaufen wollen? Sie selbst sagen ja, dass sie die Nazi-Zeit damit nicht meinen, aber das glaubt ihnen kein Mensch. Wahrscheinlich wollen sie sowas wie die Nazi-Zeit, aber ohne die Juden wirklich umzubringen und ohne Bomben auf eigene Städte und ohne Krieg-Verlieren. * Und wenn die Nazi-Zeit als "Vogelschiss" abgetan wird, welchen Traum wollen die uns denn dann verkaufen? Bis 1871 gab's nur Territorialfürstentümer, kein Doitschland. ** Wovon sollen wir also träumen, AfD? Wo sind die "gold'nen Zeiten", zu denen Ihr zurückwollt?

Und schließlich: Welche Träume verkaufen wir, die links-grün-menschenrechts-mitgefühls-vernunft-versifften Aufrecht-Demokraten? Was setzen wir dem ganzen verlogenen Dicke-Hose-Scheiß entgegen?

Eiei, nun wird's bitter! Wir, die Guten, haben keinen schönen Traum anzubieten. Aktuell bieten wir nur strenge, karge Kost, fordern von uns und unseresgleichen energieaufwändige Vernunft, langfristige Selbstbeschränkung, kostspielige Solidarität, Umdenken (Aua!), Bescheidenheit, Demut ... Das ist in der Summe und im Vergleich mit den Volksverhetzern wie Trump, Erdogan, Orban, Söder und der AfD sowas von un-sexy, das müssen wir ganz dringend ändern!

Ich habe dazu keine Lösung auf der Pfanne, aber die Richtung müsste lauten: Es gibt weltweit eine gewaltige Mehrheit fröhlicher, friedlicher, freier, pfiffiger, solidarischer, offener Menschen. Entscheide Dich, dazuzugehören und Du bist willkommen.

Oder sei ein muffeliger, unselbständiger, unbelehrbarer Idiot, dann geh' stinken.

Oje, ich merke schon: Das muss noch viel besser ausgearbeitet werden ...!




 (1904 - verändert via wiki commons)







* Rassefremde Nicht-Bio-Doitsche entrechten und rausschmeißen ist für die AfD definitiv in Ordnung, aber sie zu vergasen hinterlässt, das haben wir gelernt, Flecken auf der weißen Weste. Krieg und Bombenschmeißen sind auch irgendwie geil, aber bitte nicht hier zu Hause, denn da hätten wir's gerne stets sauber und ochdentlich.

** Goethe war kein Doitscher, sondern Sachsen-Weimar-Eisenacher, und er war kein Staatsbürger, sondern Untertan.









Mittwoch, 26. Dezember 2018

Global Puberty-Challenge


Soso, Japan steigt aus der Internationalen Walfangkommission aus und will wieder ganz offiziell Wale jagen. Nicht so schlimm, denn die Beschlüsse dieser Kommission haben die Japaner sowieso immer hintergangen, indem sie Wale für angebliche Forschungszwecke massakrierten. Offensichtliche Lügerei wird nur ersetzt durch offensichtliche Trotzerei.

Aber der Ton, dieser Trotz-Gestus, hat eindeutig Vorbilder: Wir steigen aus der Menschrechts-Charta aus, wir steigen aus den Mittelstreckenraketen-Verträgen aus, wir steigen aus dem Flüchtlings-Pakt aus, wir steigen aus den Klima-Verträgen aus, wir steigen aus den Euro-Stabilitäts-Kriterien aus, wir steigen aus der EU aus, wir steigen aus der OPEC aus, wir steigen hier aus, wir steigen da aus ....

Die Selbstaussage ist immer dieselbe: Ich bin ein dummes, verwöhntes, krankhaft egoistisches Kind, unfähig zur Verantwortung für mich oder gar meine Umwelt. Ich bin viel zu dämlich, mich in meine Mitmenschen hineindenken zu können, um Kompromisse auszuhandeln und bin sowieso zu undiszipliniert, um sie dauerhaft leben zu können. Ich will Triebbefriedigung sofort. Langfristiges,  nachhaltiges Denken und Handeln geht bei mir gar nicht, weil ich eine Aufmerksamkeitsspanne von elf Sekunden habe, hoppla, schon vorbei. Außerdem benehme ich mich ab jetzt ganz besonders scheiße, weil ich dadurch die Aufmerksamkeit des ganzen Rests der Welt bekomme, und alle müssen tun, was ich will! Und wenn jemand mit naturwissenschaftlichen Fakten zu argumentieren versucht, halte ich mir die Ohren zu und singe laut "LA LA LA!", bis sie / er entnervt abzieht.

Normaldenkende Menschen reagieren auf derlei Verhaltensdispositionen mit dem ganz natürlichen, dringenden Wunsche, den nervtötenden Gören kräftig eine zu schallern. Leider ist hier eine Grenze der Metapher erreicht, denn die nervigen Gören, das ist aktuell unsere komplette Spezies, wie es scheint. Und geschallert bekommen wir ganz bestimmt eine, und zwar von den ziemlich konsequent und unpädagogisch agierenden Naturgesetzen, sobald wir nämlich unsere Lebensgrundlagen restlos und unwiederbringlich in die Grütze gefahren haben.

Wäre schön, wenn das Kotzbrocken-Kind mal pronto zur Besinnung käme.





 (1885 verändert via wiki commons)

Nicht lustig, nur doof.














Samstag, 22. Dezember 2018

Jahresend-Räsonnement


Längste Nacht, kürzester Tag. Wintersonnenwende, eigentlich beginnt heute das neue Jahr. Die Verschiebung des Jahreswechsel-Tages auf den 24. bzw. 31. Dezember, das sind Rechenfehler, die wir seit Jahrhunderten mitschleppen.

Zeit zur Besinnung und zu Bloggers Nabelschau. Was macht der Blog? Läuft erfreulich.



(verändert via wiki commons)

Am meisten erfreut mich die gefühlte Selbstdiagnose, dass ich im Laufe der Jahre immer erfolgreicher geworden bin, mich von fiktiven Adressaten zu emanzipieren. Ich schreibe für niemanden mehr, nicht mal für mich selbst.


Vielleicht können nur Kreativlinge, ästhetisch Schaffende, dieses Problem verstehen: Du machst irgendwas, dann kriegst Du positive Rückmeldungen, die Dich natürlich erfreuen, und später erwischst Du Dich dabei, dass Du auf eine bestimmte Art und Weise schreibst, malst, bildhauerst, musizierst, wasauchimmer, um noch mehr von diesen schönen Rückmeldungen zu bekommen. Unterbewusst fängst Du an, für ein imaginiertes, aber spezielles Publikum zu arbeiten, Dein Fähnlein immer etwas weiter in den Wind zu hängen. Mitunter erzeugst Du diesen Wind auch selbst, wenn Du nämlich ein bestimmtes Selbstbild konstruiert hast, das Du qua ästhetischem Tun bestätigen und bestärken willst.

Manches Mal habe ich mich dabei erwischt, lustig sein zu wollen. Oder besonders scharfsinnig. Oder besonders provokant. Oder: Viele meiner Texte arbeiten viel zu sehr an meinem Selbstbild.* Das sind alles Texte, die ich innerlich unter dem Stichwort "gewollte Texte" abbuche. Gewollte Texte sind grundsätzlich schlechte Texte. **

"Gewollt" bedeutet nämlich, es geht nicht mehr nur um die eigentliche Idee, um einen Inhalt, der auch jenseits meiner Person Gültigkeit hat, sondern darum, andere und/oder mich selbst intellektuell und ästhetisch zu befriedigen. Gewollte Texte können nicht frei fließen, sich nicht aus sich selbst heraus entwickeln, stattdessen muss der Schreiber, im Bemühen, unbedingt ein Ziel zu erreichen, ständig steuern, kontrollieren, konstruieren, biegen und brechen. Das ist anstrengend und schmerzhaft für alle Beteiligten.

Und falls, wie neulich geschehen, jemand fragt, was es eigentlich mit diesem Tao-Kram auf sich hat: Genau das: Hör' auf, angestrengt ein "gewolltes" Ziel erreichen zu wollen.






 (Jefferson Airplane, White rabbit, Woodstock 1969 - verändert via wiki commons)

* Erstaunlich oft bearbeiten viele Texte übrigens im Subtext mein anscheinend latentes Trauma, bei Woodstock 1969 nicht dabeigewesen zu sein. 1969 war ich erst sieben Jahre alt, niemand hatte mich auf den Termin hingewiesen, und ich bezweifle, dass meine norddeutsch-kleinstädtischen-mittelstands-bürgerlichen Eltern einen Besuch des Konzertes erlaubt hätten, von finanziellen Quisquilien ganz zu schweigen. Aber ich bin sicher: Mein Leben wäre anders verlaufen, hätte ich damals Country Joe oder Jefferson Airplane life on stage erlebt - ganz anders! Aber hallo!

**Die meisten, leider nicht alle, habe ich noch vor Veröffentlichung gelöscht.


 (Country Joe & the Fish, Vietnam Song, Woodstock 1969 - stark verändert via youtobe)













Sonntag, 16. Dezember 2018

Hibernation


Lange nichts geschrieben, grummelt's in mir. Ja, woher soll's denn kommen? Zum Fliegen ist's zu kalt, draußen hasten die Menschen, auch ich, nur dickvermummt von A nach B, erpicht, die Zeit von Tür zu Tür zu minimieren. Wenig Input von da. Zuhause sitzt man jetzt und liest gute Bücher, doch was da schon geschrieben steht, brauche ich hier nicht mehr zu bloggen. Oder man bastelt, malt und werkelt, doch Gebasteltes, Gemaltes und Gewerkeltes halte ich - im Gegensatz zu vielen Blogger*Innen - nur für begrenzt mitteilenswert.

Winter hat wenig, mich ästhetisch zu attackieren. Ich bin ein Kind der Sonne, der Wärme und des Lichts. Und wenn auch meine Physis den Winterschlaf nicht kennt, im Geiste hiberniere ich gerade nur so vor mich hin und hoffe, aus diesem zwar nicht besonders euphorischen und intelligiblen aber wenigstens leidlich durchhaltbaren Zustand nicht vor, sagen wir, Mitte Februar, aufgestört zu werden.

Ab 21.12.2018, 23:23 werden die Tage wieder länger, spielt die Zeit wieder für uns! Hurray!





Jaja, ich bewundere die Polarforscher ja angemessen. Und die Sache mit der Scott-Expedition und so tut mir echt leid und so weiter. Aber mal ernsthaft: Wie bescheuert muss man für sowas auch sein...!?

Ich weiß gar nicht, warum ich nicht, im Gegenteil, 2.000 Kilometer dichter an den Äquator ziehe.






Freitag, 7. Dezember 2018

Wie dümmlich darf Propaganda sein?


Interessante Berichterstattung über Huawei in unseren öffentlich-rechtlichen Kanälen. Der chinesische Internet-Konzern ist im Internet und rundherum außerordentlich erfolgreich, (Zitat:) "ist zum zweitgrößten Smartphone-Hersteller der Welt aufgestiegen, bietet außerdem Unternehmen seine Cloud-Dienste an und managt deren Datenverkehr. Den Aufbau des künftigen Mobilfunkstandards 5G wollen die Chinesen begleiten, und sie arbeiten zum Beispiel mit Daimler an der Entwicklung des autonomen Fahrens. Bei all diesen Aktivitäten fallen riesige Datenmengen an – wo die am Ende landen, weiß niemand, aber Vermutungen gibt es natürlich. Großbritannien etwa lässt Huawei durch seinen Geheimdienst beobachten und es ist anzunehmen, dass die übrigen westlichen Staaten dies ebenfalls tun."

Ich verstehe, dass ich jetzt empört und verängstigt sein soll und die Chinesen im Allgemeinen und Huawei im Besonderen hassen muss. Aber ich verstehe nicht, warum. Huawei tut nichts, was US-Konzerne nicht schon längst und viel länger und viel schlimmer praktizieren.

Drei Fragen:

  1. Merkt wirklich niemand, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird und dass den Chinesen, nur weil sie Chinesen und nicht US-Amerikaner sind, etwas vorgeworfen wird, was im Westen immer schon, spätestens aber seit dem "Patriot Act" 2001, globale, illegale Routine ist?
  2.  Fällt niemandem die zeitliche Koinzidenz der Festnahme der Huawei-CFO und des Strafexerzierens  deutscher Autobosse beim POTUS auf? Ist die Verschwörungstheorie, die Trump-Junta attackiere nun sämtliche privatwirtschaftliche global-players, die eine Konkurrenz der US-Konzerne darstellen könnten, ganz und gar abwegig? 
  3. Bin nur ich alleine angeekelt von der speichelleckerischen, kritiklosen Willfährigkeit, mit der unsere Öffentlich-rechtlichen jeden menschenrechts- und demokratiefeindlichen, unilateralen Auswurf des kranken Mannes im Oval Office verbreiten?
Es ist nicht schade um den Untergang des professionellen Journalismus, wenn er denn ohnehin nicht antritt, die Mächtigen zu kontrollieren und zu kritisieren.





(verändert via archives.org)
Streiche: Juden, setze: Chinesen.
Man erlaube mir, mich auch für unsere rezenten Journalisten fremdzuschämen.





Postscriptum v. 08.12.2018: Der Vorwurf gegen Huawei lautet, der Konzern habe sich nicht an die Iran-Sanktionen gehalten, die Herr Trump im Alleingang ausschließlich nach US-Recht eingeführt hat. Es gibt weder internationale noch UN -, noch sonstwie multilaterale Beschlüsse, und die Vorwürfe gegen den Iran, aus denen diese Sanktionen resultieren, sind bestenfalls windig.




 

Sonntag, 2. Dezember 2018

Sentimental journey


Jestern Hunderte alter Familien-Dias bei und mit meinen Eltern geschaut. Darunter zeigen vier, fünf meinen damaligen Freund B. Ein Schatzkästchen von Erinnerungen und späten Erkenntnissen öffnet sich.

B. und ich waren beide acht Jahre alt und hatten einander lieb, in einer Zeit und einer Art, bei der man natürlich nicht hinterschicken musste, dass das natürlich nichts mit Erotik o.ä. zu tun habe, sondern nur bedeutete, dass wir das Zusammen-Sein sehr genossen. Da musste gar nicht drüber geredet werden, so kristallklar war das.

Deshalb war ich auch nur einen halben Schritt hinter B., als er von einem schwerst-alkoholisierten Autofahrer aus seinem und meinem Leben gefetzt wurde. Ziemlich furchtbare und blutige Erinnerungen tauchen auf. Blöd auch, dass B. nicht sofort richtig tot war, sondern nur hirntot, so dass am nächsten Morgen eine ethische Entscheidung getroffen werden musste, die Maschinen abzuschalten. B.s Mutter, am Abend davor verständlicherweise völlig durchgedreht, frug schließlich, warum es denn ihren Sohn erwischt hätte, und nicht mich. Das Verhältnis zwischen B.s Eltern und meinen rutschte, Verständnis hin oder her, schlagartig auf einen Wert unterhalb des absoluten Nullpunkts.

Ich schwöre, jetzt kommt nichts Weinerliches. Aber die Frage hat mich damals auch umgetrieben. B. war klüger, viel sensibler, nachdenklicher und netter als ich. Warum er? Oh, ich habe nie gewünscht, an seiner Stelle zu sein. Die Option existierte nicht, und ich habe sie damals nicht mal theoretisch erwogen. Da bin ich, bei aller Liebe, sehr unsentimental und pragmatisch, sowohl als Achtjähriger als auch als Sechsundfünfzigjähriger.(*1)


Damit zurück zum "Schatzkästchen von Erinnerungen und späten Erkenntnissen" (s.o.). Die Erinnerungen lassen wir mal weg, das ist mein Privatkram.

Mir ist gestern Abend bewusst geworden, dass ich seit B.s Tod über Themen wie "Gerechtigkeit", "Schicksal" etc. etc. nachdenke. Als Achtjähriger bist Du natürlich auf der Suche nach den Funktionen, nach denen die Welt tickt. Du willst die Regeln herausfinden.

Und, Erkenntnis numero uno, Gerechtigkeit gehört nicht dazu.

Erkenntnis numero due: Das Konzept vom göttlichen Lenker, vom "lieben Gott" war mit B.s Tod auch vom Tisch. Allerdings habe ich mit großem Interesse und stets "sehr gutem" Erfolg am Religionsunterricht teilgenommen - zum Schluss nur noch, um wirklich ganz sicher zu sein, dass "göttliche Gerechtigkeit" nichts weiter ist, als ein Bullshit-Konzept, um die Massen ruhig zu halten. Nein, konfirmiert bin ich nicht.

Erkenntnis numero tre: Ich war damals äußerst empört, dass der Besoffene, der B.s Tod verschuldet hat, mit einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe davonkam, weil, gerichtliche Begründung, sein Besoffen-Sein strafmildernd angerechnet wurde. Zweifellos eine Folge dieser Geschichte: Schon als achtjähriger Knabe begann ich, eine sehr enge, fast schon brutale Definition der Begriffe "Verantwortung" bzw. "Eigenverantwortung" zu entwickeln.

Letzte Erkenntnis, passend zu "Spätfolgen" und "Verantwortung": Bin ich traumatisiert? In einer früheren Fassung dieses Textes habe ich B.s Unfall detailliert beschrieben, und es war wirklich fies. Und dass mir nahestehende Menschen auf ganz erbärmliche Weisen starben, erlebte ich anschließend noch ein paar Mal, ein Mal ganz besonders schlimm und ganz besonders nah. Ja, natürlich bin ich traumatisiert. "Trauma" meint eine "lange nachwirkende Verletzung"(*2). Wie stumpf soll und muss man denn andernfalls sein? Wie stark B.s Tod mich verletzt hat, habe ich jahrzehntelang nicht aktualisiert, erst gestern durch die Fotos ... Aber "Trauma" heißt nicht zwingend, dass mein alltägliches Leben in sozial-auffälliger Weise tangiert ist. Die Erinnerung an B.s Tod ist überhaupt nicht vergleichbar mit z.B. einem appen Bein. Die Dinge prägen uns. Es sind die Narbenmuster, die uns zu Individuen machen. Möchte ich sie missen? Auf keinen Fall!



 (RCAF-Spitfire, 1942; verändert via wiki commons)




 (*1) Fragt jetzt nicht, wie ich wohl entschieden hätte, wenn es eine Option gegeben hätte. Ich behaupte, derartigen Fragen können immer nur retrospektiv beantwortet werden.

(*2) Die schönste mir bekannte Trauma-Geschichte ist die einer Italienerin, die 2012 angab, sie sei traumatisiert vom Untergang der "Titanic", weil ihre Großmutter ihr so oft erzählt habe, dass deren Bruder, also der Großonkel, hundert Jahre vorher mit der "Ttanic" untergegangen sei. Wohlgemerkt war besagte Großmutter nicht mit an Bord, sondern viereinhalbtausend Kilometer entfernt auf dem Trockenen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wer für das Trauma der Enkelin zahlen muss:

  • A.) Die Großmutter, da sie so fahrlässig ihre Enkelin mit zusammenfantasierten Geschichten traumatisierte.
  • B.) Die Eltern, die offensichtlich nicht rechtzeitig eingriffen.
  • C.) Die Cunard-Line, die die "Titanic" betrieb.
  • D.) Die Betreiber der "Costa Concordia", anläßlich deren Unterganges bei besagter Enkelin die ganze Geschichte wieder hochkochte.  
  • E.) Die Journaille, die aus niederen Motiven Trauma-Stories pusht.
 Mehrfachantworten sind möglich.