Samstag, 21. April 2018

Genetische Bekenntnisse eines Multi-Hybriden


Die folgenden Sachverhalte zu meiner patrilinearen Familiengeschichte ergeben sich aus jahrelanger, beiläufiger ... nein, nicht "Forschung", das wäre zu hoch gegriffen. Nennen wir's "ständige beiläufige Aufmerksamkeit". Es gibt einige Hinweise, dass die Sache wirklich so gewesen sein könnte, und es gibt keine Hinweise, dass irgendwas davon gelogen ist. Ziemlich schwache Datenbasis also. Dennoch:



Mein Nachname hat nichts mit "Singen" zu tun, sondern mit lat. "cingulum", der Mauer, die eine Stadt umgürtet. Meine Vorfahren waren also Wach-Fuzzis und zwar in einem latinisierten (sprich: von den Römern besetzten) Teil Europas, Hinweise zielen irgendwie in den Bereich Strasbourg / Vogesen, wo der Name immer noch auftaucht, sogar bei Franzosen.

Da gab's dann wohl ein Techtelmechtel mit einer französischen Adelsdame, was Rückschlüsse zulässt, wenn Madame es nötig haben, mit Wachleuten handgemein zu werden. Verarmter Landadel? Vielleicht Hugenotten, also Religionsflüchtlinge? Egal, der Name vögelt und mendelt sich von da an quer durch Mitteleuropa, allgemeine Richtung Nordost. Ruhrpott (der damals noch keiner war), Westfalen (da kommen wir drauf zurück*), schließlich Rospitz in Westpreussen (heute Rozpedziny, Polen, Geburtsort meines Vaters).

Ein Teil des Clans ist irgendwie weiter östlich gelandet und zum Judentum konvertiert, Ashkenasen, besonders isoliert und daher besonders fundamentalistisch und dumm, und von denen sind dann im 19. Jahrhundert ein paar nach Amerika ausgewandert, wo inzwischen Frauen schon in dritter Generation und unter dem amerikanisierten Namen (ohne das letzt "n") große sportliche Erfolge im Schlamm-Catchen einheimsen.

Das hinderte aber meinen Opa nicht, erster nationalsozialistischer Bürgermeister seines Dorfes zu werden. Das Problem mit dem Arier-Nachweis müssen die irgendwie genauso gedeichselt haben, wie die eigentlich offensichtlichen ethischen Widersprüche. Die Polen hatten damit später schon mehr Probleme, denn sie vernichteten ab 1945 alle Dokumente des Deutschtums und kloppten auch die Steinplatten kaputt, die im Dom von Marienburg die tapferen Kämpfer Westpreussens bei der Völkerschlacht bei Leipzig, 1813, aufführte, unter anderem auch irgendeinen Urgroßopi von mir, der immerhin für Demokratie und Eingkeit und Recht und Freiheit in früher Stunde Doitschlands den Allerwertesten riskiert hat ...  

Kurioserweise wurden die Deutschen, deren Ortsgeschichte die Polen negieren wollten, am Ende ihrer Flucht vor den Russen in "Westdeutschland" angekommen, dort abfällig als "Pollacken", als "Polen" begrüßt und diskriminiert ...
 
Wen interessiert das? Mich.

Denn neulich habe ich erstmalig tatsächlich einen Hinweis darauf erhalten, dass bei ein paar wenigen, leicht beeinflussbaren, strunzdummen Schülern antisemitische und antipolnische Ressentiments wieder en vogue sind. Klar, die AfD und die anderen Nazis, wie Trump, Erdogan, Seehofer, Kaczinsky und Visegrad-Konsorten  arbeiten ja an nichts Anderem, als derartigen Scheiß wieder salonfähig zu machen.

Ich bin glücklich mit meiner Familiengeschichte. Wer-auch-immer die hirnverbrannte These vom "reinrassigen doitschen Blut" verbreitet und instrumentalisiert, findet in mir die perfekte Antithese. In mir schwappt das Blut vom froschfressenden Erbfeind, von Christen und Juden, von Vogesenern, Westfalen, Preussen, Polen, von Nazis und Freiheitskämpfern, von Bauern und Soldaten ... eine echt krasse Melange! ** Wer also Juden oder Polen angreift, greift MICH an. Wer was gegen Franzosen oder Preussen sagt, muss mich als Gegenbeispiel berücksichtigen. ***

Und ich behaupte: Wenn es ein Merkmal gibt, das "typisch deutsch" ist, dann ist es diese Melange.




(verändert via wiki commons)
Schön, schön, das meiste davon - und noch viel mehr - haben meine Leute ausprobiert.
Gut so!





 * Meine Mutter ist Westfälin. Meine Eltern haben also, allerdings über viele Generationen hinweg,  das gemacht, was Pflanzenzüchter als "Rückkreuzung" bezeichnen.

** Wenn's nicht so makaber wäre, würde ich meine Nachkommen beauftragen, noch ein paar Buddhisten, Muslime und ein paar mehr Luft- und Raumfahrt-Ingenieure reinzumendeln. Einfach, um die Sammlung zu komplettieren.

*** Was ich außerdem sehr genieße: Da ich ja selbst ein 256stel Jude, ein 512tel Franzose und so weiter bin, kann ich meinerseits politisch korrekt auf allen rumhacken, ohne diesem mehltauartigen Vorwurf des Antisemitismus, der Francophobie oder Weiß-der-Geier-was ausgesetzt zu sein. Ist ja praktisch Selbstkritik. Und die ist immer gut.




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